Pressestimmen zum Wüstenstrom-Projekt
Börsen-Zeitung: Neue Energie, Kommentar zu Europas Energieversorgung von Andreas Heitker
Europa stellt die Weichen für seine künftige Energieversorgung. In Ankara haben sich am Montag Gasmanager und Politiker aus sechs Staaten getroffen, um der geplanten Pipeline Nabucco einen geeigneten Rechtsrahmen zu geben. In München saßen zur gleichen Zeit Vertreter von führenden deutschen Industrie-, Energie- und Finanzkonzernen zusammen, um die Möglichkeit milliardenschwerer Solarinvestitionen in der nordafrikanischen Wüste auszuloten.
Beide Projekte sind hinsichtlich ihres Volumens, ihres Planungsstadiums und ihrer Umsetzungschancen kaum miteinander zu vergleichen. Beide können aber wichtige Bausteine auf dem Weg in eine sicherere und nachhaltigere Energieversorgung werden. Experten erwarten in den kommenden Jahren einen deutlich steigenden Bedarf an Gasimporten in der Europäischen Union. Über Nabucco könnten langfristig bis zu 10% der Nachfrage gedeckt werden. Die Leitung kann zugleich helfen, die Abhängigkeiten von den russischen Gaslieferungen zu verringern und die Importwege weiter zu diversifizieren. Hiervon würden vor allem die südosteuropäischen Staaten profitieren. Und dass in dieser Region Handlungsbedarf besteht, ist spätestens im Januar während der ukrainisch-russischen Gaskrise mehr als deutlich geworden.
"Desertec" wiederum könnte dem Ausbau der erneuerbaren Energien in Europa einen Schub geben. Ob das 400-Mrd.-Euro-Projekt jemals mehr wird als eine schöne Idee, bleibt zwar zweifelhaft. Es zeigt aber deutlich die noch ungenutzten Möglichkeiten, die schon heute auch die Solarenergie bietet. In der spanischen Provinz Granada wird zurzeit der größte europäische Solarstandort mit solarthermischen Kraftwerken aufgebaut, die auch bei "Desertec" zum Einsatz kommen sollen. RWE hat sich jetzt daran beteiligt, und sogar deutsche Stadtwerke trauen sich mittlerweile einen Einstieg zu. Vor nicht allzu langer Zeit haben all diese Unternehmen beim Stichwort Solar noch die Nase gerümpft.
Für den Aufbau einer sicheren Energieversorgung ist häufig ein langer Atem nötig. Seit der Liberalisierung der europäischen Strom- und Gasmärkte geht diese Erkenntnis im politischen Alltagsgeschäft immer wieder einmal verloren. Umso wichtiger ist es deshalb, wenn es doch noch Weichensteller wie die Gemeinschaftsprojekte Nabucco oder "Desertec" gibt.
Lausitzer Rundschau: Zum Desertec-Projekt deutscher Energiekonzerne
Das am Montag vorgestellte Projekt Desertec ist eine große Vision. Die Vision nämlich, dass sich sauberer Strom auf dieser Welt erzeugen lässt, und zwar im Überfluss. Und dass es Menschenwerk sein wird, sie zu nutzen.
Beim Menschenwerk allerdings beginnen die Risiken und Nebenwirkungen der Idee, in den Wüsten Nordafrikas in solarthermischen Kraftwerken Strom für Europa zu erzeugen. Strom ist Geld und Geld ist Macht. Wenn der Strom nach Norden fließt, an wen fließt dann das Geld? Und wessen Macht festigt es? Profitieren wieder einmal nur die industrialisierten Länder? Erstens ist Afrika der Kontinent mit der am schnellsten wachsenden Bevölkerung in der Welt. Aber 15 bis 25 Cent pro Kilowattstunde kann dort niemand zahlen. Wenn den Menschen das Licht flackert und sie gleichzeitig sehen, dass ihr Land benutzt wird, um die Glitzerwerbung an den Boulevards von Paris oder Berlin leuchten zu lassen, wird das nicht gut ausgehen.
Zweitens gibt es in Nordafrika kaum ein Land, das nicht entweder despotisch oder diktatorisch regiert wird oder politisch instabil ist, das nicht krasse Unterschiede zwischen Arm und Reich und innere Konflikte aufweist. Eine solche Geldmaschine wie Desertec wird diese Verwerfungen drastisch verstärken. Wenn nur die Despoten und ihre Vasallen dadurch noch reicher werden sollten, wenn die Militärapparate noch ausgebaut werden - natürlich unter dem Vorwand, die Transportleitungen nach Europa zu sichern - dann wird dieser Strom bald nicht mehr sauber sein, sondern blutig.
Und drittens: Waren wir nicht schon mal weiter? Weg von zentralen Lösungen für unsere Energieprobleme, hin zu lokalen Antworten wie dem Windmüller und dem Biogasbauer? Wenn der Strommix der Zukunft wieder von ein paar Konzernen und großindustriellen Anlagen bestimmt wird, bleibt die Abhängigkeit von oligopolistischen Strukturen. Wer es gut meint mit der Vision von Desertec, muss sie herunterholen ins Reich der Realitäten. Das heißt: kleiner machen. Und er muss sie den zwölf beteiligten Konzernen wegnehmen. Dieses Produkt muss den Nordafrikanern gehören. Sie müssen befähigt werden, solarthermische Kraftwerke aufzubauen und zu betreiben. Hilfe ja, aber zur Selbsthilfe. Investoren ja, aber keine Fremdbestimmung. Die Vision von Desertec sollte mit dieser Zielsetzung das zentrale Zukunftsprojekt der neu gegründeten Mittelmeerunion und damit der europäischen Entwicklungspolitik für Nordafrika werden. Falls später einmal ein paar Gigawatt für uns abfallen - um so besser.