Ethikkommission: Altbekannte Argumente in neuer Runde
Pate für die öffentliche Anhörung der Ethikkommission zur künftigen Energieversorgung am Donnerstag stand die Schlichtung im Streit über das umstrittene Bahnhofsprojekt Stuttgart 21. Gemeinsam mit 30 Experten wollten die Mitglieder des "Rats der Weisen" öffentlich über die Energiewende debattieren. Die
Idee: Was beim Stuttgarter Hauptbahnhof funktioniert hat, müsste doch auch bei der ähnlich hitzigen Debatte über die Zukunft der Kernkraft funktionieren. Anders als bei der Bahnhofsschlichtung unter Leitung des ehemaligen CDU-Generalsekretärs Heiner Geißler war die Öffentlichkeit allerdings aufs Fernsehen beschränkt.
Beobachter, die sich am Donnerstagmorgen im Berliner dbb-Forum eingefunden hatten, um den Experten zu lauschen, waren irritiert. Anstatt den Argumenten im Sitzungssaal zu folgen, sollten sie im Vorraum warten. Dort werde die öffentliche Beratung übertragen, hieß es. Doch auf dem kleinen Bildschirm neben der Eingangstür war der Vorsitzende der Ethikkommission, Matthias Kleiner, zwar zu sehen - zu hören allerdings kaum.
"Feuerwerk alternativer Perspektiven"
Erschwerend für die öffentlichkeitswirksame Inszenierung der Runde kam hinzu: Die Argumente über Sinn und Unsinn der Kernkraft sind seit Jahrzehnten bekannt und unzählige Male ausgetauscht worden. Seit der Reaktorkatastrophe in Fukushima haben sich zudem die Expertisen zur Machbarkeit des Atomausstiegs, zur Steigerung der Energieeffizienz, zur Abhängigkeit von Stromimporten und zu den Kosten der Energiewende schon gehäuft.
Wer allerdings neue Argumente erwartete, sah sich zunächst enttäuscht. So nutzen die sieben Experten des ersten Themenblocks das Forum vor allem dafür, altbekannte Positionen auszutauschen.
Teyssen stellt die Kostenfrage
Gleich zu Beginn der Debatte griff E.on-Chef Johannes Teyssen als erster Redner in der Runde das altbekannte Bild von der Atomkraft als Brückentechnik noch einmal auf. Die Brücke könne eben nicht beliebig kürzer oder schmaler gemacht werden, "weil das Tal, das sie überbrücken soll, nicht beliebig verkleinert werden kann", argumentierte er. Sein Gegenspieler, Dietmar Schütz vom Bundesverband Erneuerbarer Energien (BEE), bekräftigte hingegen seine Forderung nach einem Aktionsprogramm für den beschleunigten Ausbau regenerativer Energien. Vertreter der Umweltverbände sollten erst gegen Abend zu Wort kommen.
Anstatt des "Feuerwerks alternativer Perspektiven" kreiste die Debatte vor allem um die Kosten des Atomausstiegs. Teyssen kündigte an, sein Konzern könne neben der Kernkraft auch alle anderen Energieformen anbieten, wenn dies wirklich gewollt sei. "Ich kann nicht gegen das Volk und ich will nicht gegen das Volk eine Technik durchsetzen", sagte er. Heißen sollte dies: Sind die Verbraucher tatsächlich bereit, einen höheren Strompreis zu zahlen? Bei seinem Gehalt stehe es ihm nicht zu, darüber zu urteilen, was ein durchschnittlicher Haushalt für Energie ausgeben könne, konstatierte Teyssen.
Schütz konterte, seine Branche sei jedenfalls nicht für einen Anstieg der Kosten bei einem schnellen Atomausstieg verantwortlich. Stephan Kohler von der Deutschen Energieagentur (Dena) bezifferte diesen Anstieg auf 4 bis 4,5 Cent pro Kilowattstunde. Eine Preisprognose bis 2020 könne er jedoch nicht abgeben. Der Präsident des Deutschen Mieterschutzbunds, Franz-Georg Rips, warnte zwar vor hohen Kosten für Mieter, betonte aber, dass sein Verband damit einverstanden sei, die Mehrkosten zu akzeptieren, sofern sie erträglich seien.
Wind bläst nur 2.900 Stunden
Ähnlich gering erwies sich der Erkenntnisgewinn bei der Frage, ob die regenerativen Energien technisch tatsächlich in der Lage sind, die Atomkraft zu lösen. Ja, sagte Schütz. Erwartungsgemäß anders bewertete Heinz-Peter Schlüter von der Trimet Aluminium als Vertreter der energieintensiven Energien dies. Die Erneuerbaren könnten eben gerade nicht die Alternative zu einer Energieversorgung aus Kohle- oder Kernkraft sein. "Und das, meine ich, müssen wir den Menschen auch sagen. Wir müssen ihnen sagen, dass der Wind eben nur 2.900 Stunden im Jahr in der Lage ist, aus Wind Energie zu erzeugen, dass das Jahr aber 8.760 Stunden hat."
Zuschauer äußerten sich im Internet nicht gerade begeistert über die Expertenanhörung. So beschwerte sich Nutzer "dingensundso" im Kurzmitteilungsdienst Twitter nach dem ersten Teil der Sitzung: "Bin kurz vorm Einschlafen. Es ist Zeit zu handeln, also hört mal auf, so viel Blödsinn zu labern." Auch "lachgas" beklagte sich darüber, dass die Sitzung niemanden vom Hocker reiße. Bis zum Abend waren allerdings insgesamt vier Themenblöcke angesetzt, bei denen auch noch Vertreter aus Wissenschaft und Gesellschaft zu Wort kommen sollten.
(Nicole Scharfschwerdt / dapd)