Koalition beschließt Atomausstieg bis 2022
Nach sieben Monaten hat die Koalition ihre im Herbst 2010 beschlossene Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke wieder einkassiert. Der Koalitionsausschuss einigte sich darauf, die Kernkraftwerke in Deutschland bis spätestens 2022 stillzulegen, wie Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) in der Nacht zu Montag sagte. Die sieben ältesten derzeit abgeschalteten Atomkraftwerke und das Kernkraftwerk Krümmel sollen nicht wieder ans Netz gehen. Die Brennelementesteuer bleibt erhalten.
Daimler-Vorstandschef Dieter Zetsche kritisierte die Kehrtwende der Bundesregierung. Erst am 28. Oktober vergangenen Jahres hatte der Bundestag mit schwarz-gelber Mehrheit eine Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke um 8 bis 14 Jahre beschlossen.
Röttgen sagte: "Das Ergebnis ist konsistent und konsequent." Die Koalition orientiere sich beim Atomausstieg an den Empfehlungen der Ethikkommission der Bundesregierung zur Zukunft der Energieversorgung.
Bis 2021 solle das Gros der deutschen Atomkraftwerke stillgelegt werden, erklärte der Minister. Die drei modernsten Atomkraftwerke sollten noch als Sicherheitspuffer genutzt werden können und spätestens 2022 abgeschaltet werden. Damit ergebe sich eine durchschnittliche Laufzeit von 32 Jahren pro Kraftwerk gemessen an der Stromgewinnung. Das entspricht in etwa dem Ausstiegsbeschluss der früheren rot-grünen Bundesregierung, den die Koalition im vergangenen Jahr gekippt hatte.
Damals hatte Röttgen die Opposition als "energiepolitische Blindgänger" verspottet. Jetzt sagte er zur Entscheidung des Koalitionsausschusses: "Das macht man sich nicht einfach."
Koalition will Bau neuer Kraftwerke und Speicher beschleunigen
Eines der sofort stillzulegenden Kernkraftwerke soll bis 2013 als sogenannte Kaltreserve für eventuelle Energieengpässe bereitstehen, um Stromausfälle zu verhindern. Welches Kraftwerk das sein wird, werde die Bundesnetzagentur entscheiden, sagte der FDP-Umweltpolitiker Michael Kauch.
Die Koalition will zudem den Bau neuer Kraftwerke und Speicher beschleunigen. Neben einem Gesetz zum beschleunigten Ausbau der Stromnetze solle es ein Planungsbeschleunigungsgesetz für Kraftwerke und Speicher geben, verlautete aus Koalitionskreisen. Damit sollten wichtige Infrastrukturvorhaben beschleunigt werden, ähnlich wie seinerzeit bei der Wiedervereinigung.
FDP wertet Brennelementesteuer als Erfolg
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte am Sonntagabend die Spitzen von Union und FDP im Berliner Kanzleramt empfangen, um eine gemeinsame Linie für die angekündigte Energiewende zu finden. CSU-Chef Horst Seehofer war für einen Ausstieg binnen zehn Jahren. Die FDP wollte einen zeitlichen Korridor und eine Revisionsklausel, die den Ausstieg hinausschieben könnte.
Röttgen sagte, die von der FDP geforderte Revisionsklausel werde es nicht geben.
SPD und Grüne kritisieren "Kaltreserve"
Noch während die Verhandlungen liefen, informierte Merkel SPD und Grüne über deren Stand. SPD-Chef Sigmar Gabriel sagte, die Koalition bewege sich auf einen Atomausstieg nach den Empfehlungen der Ethikkommission zu. Allerdings tue sich das Regierungsbündnis außerordentlich schwer, den Ausstieg endgültig festzulegen.
Grünen Fraktionschef Jürgen Trittin monierte: «Die Hintertüren sind noch nicht zu.» Beide Oppositionsparteien kritisierten die Pläne der Koalition für das Vorhalten mehrere Atomkraftwerke als "kalte Reserve". Es sei wenig sinnvoll, dafür ausgerechnet Atomkraftwerke in Bereitschaft zu halten, sagte Gabriel.
Daimlerchef Zetsche kritisierte, die Bundesregierung habe nach der Atomkatastrophe in Japan innerhalb weniger Tage und sehr emotional entschieden. Von einer guten Regierung wünsche er sich aber, dass sie bei einer so wichtigen Frage wie der Energieversorgung alle Aspekte sehr genau prüfe. "Dabei müssen der Klimaschutz, die Sicherheit und die Kosten berücksichtigt werden", sagte Zetsche. Die Bundesregierung verfolge keinen eindeutigen Kurs. "Die Abkehr von einer bezahlbaren Energieversorgung ist klar ein Risiko", sagte Zetsche.