Seite bewerten:
100%
0%

Fukushima: Rückschläge und Sorgen am Atomkraftwerk

13.05.2011 von

AKW Fukushima

Die Betreiber der havarierten Nuklearanlage in Fukushima-Daiichi bekommen die Probleme nicht unter Kontrolle. Sie rätseln, mutmaßen und hoffen - was in den Reaktoren aber wirklich passiert, wissen sie nicht. Das hat das Ergebnis einer einzigen Reparatur im Atomkraftwerk Fukushima-Daiichi verdeutlicht. Es lässt erahnen, wie groß die Gefahr in der Katastrophenanlage immer noch ist.

Die Betreiberfirma Tepco hatte eine Messeinrichtung für den Kühlwasserstand im Druckbehälter von Block 1 repariert. Prompt wurde deutlich, dass alle Angaben der letzten Wochen zur Wasserhöhe falsch
waren: Wenn - was niemand weiß - noch intakte Brennstäbe existieren, liegen sie vollkommen frei und sind damit ungekühlt. Teile der Brennstäbe seien auf jeden Fall geschmolzen, die Schmelze lagere am Boden des Druckbehälters, so ein Tepco-Sprecher. Und: Es gebe ein Leck im Druckbehälter. Anders sei der anhaltend niedrige Wasserstand nicht zu erklären, schließlich werden täglich 150 Tonnen Kühlwasser hineingepumpt.

Experte: Tepco im totalen Blindflug

"Dieses Ergebnis zeigt, dass sich Tepco im totalen Blindflug befindet", sagt Mycle Schneider, international tätiger Berater für Energie und Atompolitik der Nachrichtenagentur dapd. "Für die weiteren Maßnahmen in Fukushima bräuchte man viel mehr Informationen. Angesichts der vielen offenen Fragen weiß man gar nicht, wo man anfangen soll."

Doch Tepco muss handeln. Vergangene Woche hatte die Firma einen Masterplan vorgelegt: Dazu gehörte, aus Reaktor 1 der Anlage eine Art "Wasser-Sarkophag" zu machen. Das Containment, also die Hülle um den Reaktordruckbehälter, sollte zur Kühlung des Kerns komplett geflutet werden. Damit wäre der innerste, gefährlichste Teil der Anlage komplett von Wasser umgeben. Binnen sechs bis neun Monaten, so Tepco, könne die Anlage stillgelegt werden. Die Ankündigung legte den Eindruck nahe, dass die Gefahr an den Kernreaktoren weitgehend gebannt sei.

Tepco ist weit davon entfernt, die Lage zu beherrschen

Seit Donnerstag ist klar: Tepco ist weit davon entfernt, die Situation zu beherrschen. Die Firma selbst kündigte nun an, den Plan zu "überarbeiten".

Einige Experten hatten seit Tagen vor möglichen katastrophalen Folgen des geplanten Flutens gewarnt. "Wenn der Druckbehälter mit dem Kernbrennstoff ein Leck hat, so wie Tepco es jetzt zugeben musste, ist die Gefahr groß, dass das radioaktive Schmelzmaterial austritt", befürchtet beispielsweise der schottische Atomexperte Shaun Burnie. "Wenn dann eine Mischung aus diesem Material und dem geschmolzenen Metall des Reaktordruckbehälters auf Wasser trifft, kann es zu einer Explosion kommen."

Auch der britische Ingenieur John Large hält ein Fluten des Containments für besonders riskant. Er hat am Mittwoch eine Kurzstudie vorgelegt, die er im Auftrag von Greenpeace erstellt hat («Brief opinion on the Tepco plan to flood the primary containment of unit 1, Fukushima-Daiichi»). Large sollte untersuchen, welche Auswirkungen ein Fluten des Containments auf den Reaktor hätte. Auch er kommt zu dem Schluss, dass eine erhebliche Gefahr besteht. "Wenn es zu einer Explosion kommt, weil der Druckbehälter schmilzt, kann es Schockwellen geben, die den Reaktor zerstören", sagte Large der Nachrichtenagentur dapd. Das wiederum würde eine erhebliche Menge an Radioaktivität freisetzen.

Was aber ist die Alternative zum Fluten? Large schlägt vor, die bisherige Kühlung des Reaktorkerns beizubehalten, ohne das ihn umgebende Containment mit Wasser zu füllen. Im Gegenteil. Er würde das dort schon befindliche Wasser abpumpen, um die Explosionsgefahr zu mindern. Doch was, wenn sich das geschmolzene Material dann - mangels Kühlung - stark erhitzt und durch den Druckbehälter frisst? Was, wenn es dann auf den Stahlbeton des Containments trifft?

Deutsche Experten: Kernschmelze tritt bislang wohl nicht aus

Anders ordnet Sven Dokter, Sprecher der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS), die Nachrichten aus Japan ein. Dass es ein Leck im Druckbehälter gebe, heiße nicht zwangsläufig, dass bereits Kernschmelzmaterial aus dem Druckbehälter austrete, betonte er. Bisher vorliegende Daten etwa würden nicht auf einen Austritt von Kernschmelze hindeuten. Die GRS-Experten vermuten ohnehin, dass sich das Leck an der Seite des Druckbehälters befindet - und das gefährliche Nuklearmaterial deshalb bisher wohl nicht austreten konnte. Dann allerdings wäre ein Fluten derzeit ungefährlich.

Damit die Schmelze auch in Zukunft nicht so heiß wird, dass sie den Druckbehälter zerstören kann, ist eine möglichst effektive Kühlung nötig. Deshalb könnte das Fluten des Containments für GRS-Sprecher Dokter alternativlos sein. «Letztlich geht es hier um eine Abwägung. Die Chancen auf eine möglichst effektive Kühlung dürften durch das Fluten steigen», betonte er. "Einmal durch die Kühlung des Druckbehälters von außen, aber auch, weil möglicherweise der Füllstand wieder steigt, sobald der Wasserspiegel außen über die Leckstelle steigt."

In Fukushima gibt es weiter viele offene Fragen - und zwei Gewissheiten. Erstens: Die Daten, die Tepco veröffentlicht, haben äußerst begrenzten Wert. Und zweitens: Entgegen allen anders lautenden Behauptungen sind die Reaktoren noch lange nicht unter Kontrolle.

(Katrin Aue / dapd)

Serie (1): Wie funktioniert eigentlich...

Serie (1): Wie funktioniert eigentlich...... ein Atomkraftwerk? Über Atomkraft wird viel diskutiert. In unserer neuen Serie "Wie funktioniert eigentlich...?" erklären wir die Funktion von Dingen, die im Strommarkt wichtig sind. Den Auftakt machen die Atomkraftwerke. weiter

Serie (2): Wie funktioniert eigentlich....

Serie (2): Wie funktioniert eigentlich....... die CO2-Lagerung? Das klimaschädliche Gas soll lagerfähig gemacht und in Endlagern untergebracht werden. Schwierig jedoch ist die Umsetzung. weiter

Serie (3): Wie funktioniert eigentlich...

Serie (3): Wie funktioniert eigentlich...

...die Energiesparlampe? Energiesparlampen haben technisch nichts mit herkömmlichen Glühlampen zu tun. Deren Funktion ist simpel. Energiesparlampen sind eher Verwandte der Leuchtstoffröhren.

weiter

Serie: (4): Wie funktioniert eigentlich...

Serie: (4): Wie funktioniert eigentlich...
...Solarenergie?
Sonnenenergie nutzt die Energie der Sonne und ist damit saubere Energie aus einer nicht versiegenden Quelle. Oft werden unter "Solar" die Photovoltaik und die Sonnen-kollektoren zusammengeworfen, was aber falsch ist.
weiter

Serie (5): Wie funktioniert eigentlich...

Serie (5): Wie funktioniert eigentlich......eine Wämepumpe? Diese Pumpen nutzen Unterschiede in der Temperatur und wandeln sie in Wärme um. Dabei gibt es verschiedenen Formen. weiter

Serie (6): Wie funktioniert eigentlich...

Serie (6): Wie funktioniert eigentlich......ein Wasserkraftwerk? Sie nutzen alle die Bewegungsenergie des Wassers, es gibt aber viel unterschiedliche Typen. weiter

Serie (7): Wie funktioniert eigentlich...

Serie (7): Wie funktioniert eigentlich...... ein intelligenter Stromzähler? Und was ist an ihm intelligent? Die auch "Smart Meter" genannten Zähler sind zwar nicht wirklich schlau, geben dem Benutzer aber viele neue Stromspar-Möglichkeiten. weiter

Serie (8): Wie funktioniert eigentlich...

Serie (8): Wie funktioniert eigentlich...
... eine Batterie? Und wie ein Akku?
Die Funktion von Batterie und Akku basiert zwar auf dem gleichen Prinzip, doch der Akku weiß es cleverer zu nutzen.
weiter

Serie (9): Wie funktioniert eigentlich...

Serie (9): Wie funktioniert eigentlich...
... das Stromnetz? Weit über eine Million Kilometer lang ist das deutsche Stromnetz. Aber wie funktioniert das? Wir verfolgen den Weg des Stroms vom Kraftwerk zum Verbraucher.
weiter

Serie (10): Wie funktioniert eigentlich...

Serie (10): Wie funktioniert eigentlich......ein Kohlekraftwerk? Seit Beginn des 18. Jahrhunderts nutzen Menschen Kohle als Energieträger. Doch wie genau? Und wie lange noch? weiter

Serie (11): Wie funktioniert eigentlich...

Serie (11): Wie funktioniert eigentlich...
... ein Elektromotor?
Neuheit Elektromotor? Nein, denn bereits vor 100 Jahren beherrschte er die Straßen – bis der Ottomotor ihn vertrieb. Seit Jahren steigende Benzinpreise machen ihn jetzt wieder interessant.
weiter

Serie (12): Wie funktioniert eigentlich...

Serie (12): Wie funktioniert eigentlich......eine LED? Licht emittierende Dioden produzieren Licht - haben aber sonst nichts mit Glühlampen oder Energiesparlampen zu tun. Sie nutzen vielmehr die Schwäche eines unserer Sinnesorgane: die des Auges. weiter

Serie (13): Wie funktioniert eigentlich...

Serie (13): Wie funktioniert eigentlich...... statische Aufladung? Wer kennt das nicht? Einmal kurz mit den falschen Schuhen über den Teppichboden gelaufen und an der nächsten Türklinke bekommt man eine „gewischt“. Aber warum? Im 13. Teil unserer Reihe „Wie funktioniert eigentlich...?“ gehen wir dem physikalischen Phänomen auf den Grund. weiter

Serie (14): Wie funktionierte eigentlich...

Serie (14): Wie funktionierte eigentlich...
...die Elektrifizierung?
 
Elektrifizierung, das ist die Entwicklung der Elektrizität von den Anfängen bis zum heutigen Stand der Technik. Aber wie hat das angefangen?
weiter