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Morslebener wollen Ruhe in AKW-Endlagerdebatte
Das Atommüll-Lager Morsleben ist seit Jahrzehnten ein Streitfall. Was aber sagen die Morslebener, die in der unmittelbaren Umgebung des Lagers wohnen?
Wenn Edgar Lahrmann mit dem Ende der Frühschicht seinen Arbeitsplatz im Atomendlager Morsleben verlässt, gilt sein erster Blick den Wolken. "Ich schaue meist, ob es eine schöne Thermik gibt", sagt der gelernte Energieelektriker und begeisterte Gleitschirmflieger. Sorgen um den strahlenden Müll in dem früheren Kalibergwerk macht sich Lahrmann ebenso wie die meisten Bewohner seines Ortes dagegen weniger. Das gilt auch für die Pläne, nach denen das Endlager dauerhaft verschlossen werden soll. Wenn am 21. Dezember die öffentliche Einspruchsfrist gegen die Stilllegungspläne endet, werden nahezu alle Einwendungen von außerhalb des Ortes kommen. Vor allem aus Niedersachsen, das unmittelbar an das sachsen-anhaltische Morsleben grenzt.
Für die rund 160 Angestellten im einzigen deutschen Endlager für radioaktive Abfälle in Morsleben (ERAM) ist der Umgang mit der strahlenden Altlast Normalität. Ebenso verhält es sich mit den gut 300 Einwohnern des Dorfes. "Unsere Großväter haben vor 100 Jahren den Schacht gegraben. Und unsere Väter haben vor 30 Jahren das Atommülllager gebaut. Wir sind also wie verwurzelt mit dem Lager", sagt Lahrmann, der 1979 als Energieelektriker im Endlager begonnen hat.
Morsleben ist eine Mischung aus uralten Bauernhöfen, einem Plattenbau und Einfamilienhäusern, die sich gemeinsam den Platz in einer Talsenke teilen. Lediglich der blauweiße Förderturm am Dorfrand zeugt von jenem unterirdischen Lager, in dem seit 1971 rund 37.000 Kubikmeter schwach- bis mittelradioaktive Abfälle eingelagert wurden. Nicht die Gefahr durch möglicherweise austretende Radioaktivität beunruhigt die Morslebener. Vielmehr sind es jene Atomkraftgegner, die seit 1991 zunächst gegen den Weiterbetrieb und nun gegen die Stilllegung in der geplanten Form demonstrieren. "Wenn jemand gegen etwas demonstriert, ist dass doch völlig in Ordnung. Wenn aber Fremde in so ein kleines Dorf kommen, randalieren und Einheimischen die Autotüren eintreten, ist das eben nicht in Ordnung", sagt Lahrmann über die Erlebnisse der vergangenen Jahre.
Und die haben offenbar dazu geführt, dass sich die Einwohner jedem organisierten Protest verweigern. "Es gibt bestimmt den einen oder anderen von hier, der das Endlager auch nicht gut findet. Aber offen würde das keiner sagen", sagt der parteilose Bürgermeister von Morsleben, Torsten Kniep. Andreas Fox von der Bürgerinitiative Morsleben hat indes eine andere Erklärung für das Schweigen der Einwohner: "Die politische Kultur in der DDR war eine andere als im Westen. Der Staat hat nicht mit den Bürgern diskutiert und deshalb ist man das nicht gewohnt", sagt Fox. Damit unterscheiden sich die Morslebener ganz wesentlich von jenen 50 Mitgliedern, die sich in der von Fox im Jahr 1991 im zehn Kilometer entfernten niedersächsischen Helmstedt gegründeten Bürgerinitiative Morsleben engagieren. Fast alle kommen aus dem Westen, zu großen Teil besteht die Initiative aus Berufsaktivisten. "Wir sind in den 70er Jahren wach geworden, als in der Bundesrepublik über 50 Kernkraftwerke gebaut werden sollten", sagt Fox.
Und so, wie man einst die Pläne der Bundesregierung zum Bau der Atommeiler mit zum Kippen brachte, will man nun die Pläne des Bundesamts für Strahlenschutz (BfS) zur Verschließung des Endlagers in Morsleben in ihrer derzeitigen Form verhindern. "Uns geht es darum, den Verschluss des Lagers so sicher wie möglich zu gestalten", sagt Fox. Dazu haben die Aktivisten im Rahmen des Feststellungsverfahrens zu Morsleben immerhin rund 2.000 Einwendungen jenseits der Grenze in Niedersachsen gesammelt. Nach Abschluss der am 21. Dezember auslaufenden Anhörungsfrist will man mit der Strahlenschutzbehörde ab dem kommenden Jahr in Verhandlungen über die Details der Verschließung gehen. "Das, was bislang vorliegt, ist uns zu ungenau. Mit unseren Wissenschaftlern und Gutachtern wollen wir die Planungen konkretisieren", sagt Fox.
Aus Sicht der Morslebener könnte es bei denen vom Bundesamt für Strahlenschutz vorgelegten Plänen indes bleiben. "Sicherlich ist es übertrieben, wenn von einer Sicherheit von einer Million Jahre gesprochen wird. Das kann ja kein Mensch wirklich überblicken", sagt Lahrmann. Allerdings ist er wie die anderen Morslebener davon überzeugt, dass dann für die nächsten zehntausend Jahre so etwas wie Ruhe einkehren wird.
Das Atomendlager Morsleben
- Das einstige Salzbergwerk Morsleben wurde im Jahr 1971 als Lagerstätte für radioaktiven Abfall eröffnet. Bis 1994 wurden in dem bis 500 Meter tief liegenden Salzstöcken knapp 37.000 Kubikmeter leicht- bis mittelradioaktiver Abfall eingelagert.
- Größtenteils besteht der Atommüll aus verseuchtem Bauschutt, Textilien und kontaminierten Laborabfällen und Tierkadavern. Rund 60 Prozent waren zu DDR-Zeiten in Morsleben eingelagert worden.
- Außerhalb der Betriebsgenehmigung für das Endlager wurden ein 280-Liter-Fass mit Radium 226-Abfällen und mehrere Strahlenquellen mit Kobalt 60 eingebracht. Nach den Plänen des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS) soll das Bergwerk in den kommenden Jahren zu 75 Prozent mit Beton verfüllt und das Umfeld der Einlagerungsstellen zusätzlich verdichtet werden. Durch die Verfüllung soll die Gefahr durch eintretendes Wasser solange hinausgezögert werden, bis die radioaktiven Stoffe verfallen sind.
- Am 21. Dezember endet die Einspruchsfrist im Planfeststellungsverfahren zum Verschluss des Endlagers. Allein die Bürgerinitiative Morsleben hat rund 2.000 Einwendungen gegen das Vorhaben eingereicht.