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Erinnerungen an die "Republik Freies Wendland"
Einige haben inzwischen graue Haare, doch die meisten Veteranen des Anti-Atomkraft-Protestes im Wendland sind noch rüstige Leute. Rund 100 von ihnen trafen sich am Freitagabend bei Bier und Bockwurst im Gasthaus Wiese in Gedelitz, um Erfahrungen und Erlebnisse aus der "Republik Freies Wendland" auszutauschen. Ein paar Kilometer weiter, im Gorlebener Wald, hatten Umweltschützer aus dem Wendland und von außerhalb Anfang Mai 1980 ein Hüttendorf errichtet, um gegen die Tiefbohrungen im Salzstock zu demonstrieren. Nach 33 Tagen, am 4. Juni, wurde es von der Polizei geräumt und zerstört.
Die "Republik Freies Wendland" hatte eine Vorgeschichte. Die aus dem Wendland stammende Grünen-Europaabgeordnete Rebecca Harms, die selbst von Beginn an im Widerstand aktiv war, erzählt von den ersten Protesten gegen das in Gorleben geplante "Nukleare Entsorgungszentrum" 1977, vom Treck der Lüchow-Dannenberger Bauern nach Hannover zwei Jahre später und den gescheiterten Versuchen, die Tiefbohrungen in den Gorlebener Salzstock durch "Baumblockaden" zu verhindern. "Die Polizei war immer schon da, deshalb wollten wir dieses Mal die ersten sein", sagt Harms. Bewaffnet mit Sägen, Hämmern und Wasserkanistern machten sich 5.000 Leute auf den Weg zur Bohrstelle 1004 und errichteten auf sandigem Boden Dutzende Hütten, eine Batterie von Latrinen und eine "Passstelle" mit Schlagbaum, über dem die grün-orangene Fahne der "Republik Freies Wendland" wehte.
Der Lieder- und Filmemacher Walter Moßmann hörte in Freiburg von der Besetzung und fuhr mit seinem klapprigen VW Käfer nach Gorleben. "Ich habe in der Republik Freies Wendland überhaupt nicht gefremdelt", sagt er. "Gewaltfreien Widerstand, Platzbesetzung, ein Freundschaftshaus - das alles kannte ich durch die Aktionen gegen das Atomkraftwerk Wyhl." Durch ihren fantasievollen und ausdauernden Protest verhinderten die badisch-elsässischen Bürgerinitiativen Mitte der 1970er Jahre erstmals den Bau eines Atomreaktors. Wyhl wurde zum Fanal. Zehntausende demonstrierten in Brokdorf, Gronde, Kalkar und Gorleben. "1977 war nicht das Jahr der RAF, wie es uns das Fernsehen mit seinen Rückblicken weismachen wollte. Für mich war 1977 das Jahr der Anti-Atom-Proteste", sagt Moßmann.
Während viele Besetzer in Gorleben an Hütten zimmerten, Gemüsebeete anlegten, Windräder bauten und so ihre Träume von einem anderen Leben verwirklichten, stritten sich andere im täglichen "Sprecherrat" über die Widerstandsformen. Einige auswärtige Gruppen hätten sich auch militant gegen eine polizeiliche Räumung zur Wehr setzen und das Dorf mit Barrikaden schützen wollen, erinnert sich die Journalistin Gabi Haas. Die einheimischen Atomkraftgegner seien hingegen darauf bedacht gewesen, die Bevölkerung des Landkreises nicht zu verprellen. "Es gab keine Mehrheitsentscheidungen, sondern das Konsens-Prinzip", sagt Haas. "Das heißt, es wurde so lange diskutiert, bis alle sich hinter eine Entscheidung stellten. Wer das nicht konnte, musste gehen." Als die Polizei kam, ließen sich alle Besetzer vom Platz tragen.
Auch Rechtsanwalt Wolf Römmig war 1980 unter den Demonstranten und diskutierte im Sprecherrat mit. Als er am Freitagabend aus einer Erklärung des damaligen niedersächsischen Innenministers Egbert Möcklinghoff (CDU) vorliest, wonach die Proklamierung der Republik Freies Wendland "Hochverrat gegen die Bundesrepublik Deutschland", der mit Haftstrafen von zehn Jahren bis lebenslänglich zu ahnden sei, bricht Gelächter im Saal los.
"Wir mussten damals vorsichtig sein, was wir sagten", erinnert sich Römmig. Deswegen habe auch nicht die Lüchow-Dannenberger Bürgerinitiative zu der Besetzung aufgerufen, sondern ein fiktives "Untergrundamt Gorleben-Solleben". Und die Republik Freies Wendland wurde von einer "Frau Puvogel" proklamiert, die es in Wirklichkeit gar nicht gab.
(ddp / Max Eckart)
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