EU- und kartellrechtliche Prüfung des Strommarktes
Um dem Wettbewerb im europäischen Strom- und Gasmarkt neuen Schwung zu verleihen, schlägt der EU-Kommissar Andris Piebalgs die Gründung einer europäischen Netzagentur vor. In ganz Europa müsse in derselben Weise reguliert werden. Außerdem bräuchten die Märkte mehr Transparenz, da sonst gerade neuen Anbietern der Marktzutritt versperrt bliebe, sagte Piebalgs in der Financial Times Deutschland.
Auch in Deutschland ist zu spüren, dass der Wettbewerb, fast acht Jahre nach seiner Liberalisierung erlahmt ist. Anfangs führte die Marktöffnung noch zu einem starkem Preiskampf, bei dem sich die Zahl der großen Verbunds-unternehmen von acht auf vier reduzierte: E.ON, RWE, Vattenfall Europe und EnBW.
Nach Ansicht der Verbraucherschützer hat die Liberalisierung der Strommärkte in Deutschland allerdings auch zu einer wettbewerbsfeindlichen Konzentration der Märkte geführt. So beherrschen allein die großen Konzerne E.ON und RWE allein ca. zwei Drittel des Marktes. Zusammen mit Vattenfall und EnBW sind 90 Prozent des Marktes in der Hand von nur vier Unternehmen.
EU strebt Kartellverfahren an
Die Meinung der Verbraucherschützer unterstützen sowohl die Europäische Kommission als auch das Bundeskartellamt. Wie die EU-Wettbewerbs-kommissarin Neelie Kroes ankündigte, werden in den nächsten Wochen und Monaten in ganz Europa Kartellverfahren gegen einige Unternehmen eingeleitet, um mehr Wettbewerb und damit auch sinkende Preise durchzusetzen. Die EU-Kommission hatte in einer Studie unter anderem festgestellt, dass Verbraucher nicht genug Auswahl hätten, da Neuanbieter in den Strom- und Gasmärkten nur schwer Fuß fassen könnten.
In den Verfahren wird es vor allem um die Abschottung von Gas- und Elektrizitätsmärkten durch langfristige Lieferverträge und Zugangs-behinderungen zu Transport- und Lagerkapazitäten gehen. Auch die Mechanismen zur Preisfestsetzung auf den Strommärkten will die Europäische Union genauer untersuchen. Dabei schloss Kroes Regulierungsschritte in der Energiebranche nicht aus. Sollten in den Verfahren Verstöße festgestellt werden, drohen den Unternehmen Bußstrafen von bis zu zehn Prozent eines Jahresumsatzes.
Die Energiebranche in Deutschland reagierte unterschiedlich auf die Ankündigungen der Wettbewerbskommissarin. Während das Bundeskartellamt und der Verband der Energie-Abnehmer (VEA) das Vorgehen begrüßten, zeigten sich andere Verbände der Energiewirtschaft deutlich zurückhaltender. So kritisierten der Verband der Elektrizitätswirtschaft (VDEW) und der Bundesverband der deutschen Gas- und Wasserwirtschaft (BGW) das Alter der zugrundeliegenden Studie. "Die Erhebung der EU hat Mitte 2005 stattgefunden", sagte ein BGW-Sprecher dem "Tagesspiegel". Deshalb seien die Ergebnisse nur wenig aussagekräftig. Außerdem würde der Bericht "dem Prozess in Deutschland nicht gerecht", da die Bundesnetzagentur ihre Arbeit als Regulierungsbehörde gerade erst aufgenommen hätte, bemängelt der VDEW.
Der Bericht der EU-Kommission hat fünf Hauptprobleme der europäischen Strommärkte festgestellt. Zum einen die Fortdauer des hohen Konzentrations-grades aus der Zeit vor der Liberalisierung auf der Großhandelsebene, so dass die etablierten Betreiber die Preise anheben können. Ebenso gibt es für den Verbraucher keine ausreichende Wahlfreiheit, weil Neuanbieter nur schwer auf dem Markt Fuß fassen können. Ein grenzüberschreitender Wettbewerb findet des Weiteren so gut wie gar nicht statt. Ebenso haben Neuanbieter keinen Zugang zu den Informationen, so dass alteingesessene Unternehmen begünstigt werden. Außerdem werden die Preise selten auf der Grundlage von effektivem Wettbewerb gebildet.
Die EU-Kommission will darüber hinaus weitere Probleme im Auge behalten, allerdings ohne wettbewerbsrechtlich dagegen vorzugehen. Vor allem auf die Preisbildung an den europäischen Strombörsen, wie beispielsweise der EEX in Leipzig, will die Kommission achten. Denen wurde in der Vergangenheit immer wieder vorgeworfen, die Preise manipuliert zu haben.