Marktforscher: „Der Wechsel muss sicher und einfach sein“
Seit über zehn Jahren kann man den Stromanbieter wechseln und oft eine Menge Geld sparen. Auch die Verbraucherzentralen sagen, der Wechsel sei kostenlos und risikofrei. Doch erst jetzt bekommt der Markt eine Dynamik, über die Hälfte der Stromkunden hatte vorher noch nicht über einen Wechsel ihres Anbieters nachgedacht. Warum das so ist, fragten wir Werner Grimmer, Diplom-Psychologe und Senior Manager bei YouGovPsychonomics, einem Marktforschungs- und Beratungs-Institut aus Köln.
Stromtipp.de: Herr Grimmer, Psychonomics führt ständig Gruppendiskussionen und Interviews mit Stromkunden und potentiellen Wechslern, was hindert diese bislang an einem Wechsel?
Grimmer: Das ist ein Mix aus verschiedenen Gründen. Zum einen fehlt bei vielen der finanzielle Druck. Auch hören wir immer wieder, dass Kunden „nie Probleme“ mit ihrem Altversorger hatten. Der Grund: Der Strombezug ist passiv, es passiert einfach nichts, der Strom wird geliefert, die Rechnung bezahlt. Aber selbst in anderen, dynamischeren Branchen wie der Telekommunikation, gibt es immer eine träge Masse, die bei ihrem TK-Anbieter bleiben wird.
Stromtipp.de: Woher kommt dann der von Ihnen beobachtete Umschwung, warum werden die Wechsler mehr und die Wechsel häufiger?
Grimmer: Auch das ist ein Mix aus Gründen, es gibt eine Wechselstimmung im Land. Die hohen Energiepreise und Preiserhöhungen in den letzten Jahren haben eine Bewusstseinsschwelle überschritten. Wenn sich die Kunden über hohe Benzinpreise ärgern, fangen die Menschen an, auch über die Gas- und Strompreise nachzudenken. Zudem ist der Wechsel eines Stromanbieters in der Gesellschaft angekommen: Jeder kennt mittlerweile einen Freund oder Nachbarn, der durch den Wechsel Geld spart.
Stromtipp.de: Was sind das für Kunden, die bisher gewechselt haben, und die, die jetzt erst an Wechsel denken?
Grimmer: Bislang beobachteten wir drei Gruppen von Wechslern. Die ersten sind „Tarifhopper“, die es auch in der TK-Branche gibt. Diese wechselten in den vergangenen Jahren immer zum günstigsten Anbieter, das ist von der Zahl her eine relevante, stark zunehmende Gruppe. Die Tarifhopper wechselten sogar oft mehrmals in den vergangenen drei Jahren. Hier zählt das preiswerteste Angebot. Dazu kommen ideologisch motivierte Wechsler: Beispielsweise, weil sie großen Stromkonzernen skeptisch gegenüber standen oder Ökostrom beziehen wollten.
Stromtipp.de: Und die dritte Gruppe?
Grimmer: Diese relativ neue Gruppe ist die größte von allen, und sie trägt entscheidend zur Dynamik im Markt bei. Für diese Kunden muss der Wechsel nicht nur einfach, sondern auch wahrnehmbar sicher sein. Das hat viel mit Vertrauen zu tun.
Stromtipp.de: Bedeutet Vertrauen hier, dass der Anbieter nicht pleite geht?
Grimmer: Nicht allein! Vertrauen bedeutet zum Beispiel, dass der Kunde sicher sein will, dass die Abrechnung nicht falsch ist. Der Anbieter soll seriös sein und Erfahrung haben. Der Kunde will das Gefühl haben, den Hintergrund des Anbieters einschätzen zu können. Hier haben beispielsweise Discount-Anbieter wie Yello einen Vorteil, hinter denen ein großer Energiekonzern steht. Das beste Image jedoch haben Stadtwerke. Sind ihre Tarife gut, liegt hier für die Stadtwerke und ihre überregionalen Ableger ein großes Potential.
Stromtipp.de: Gibt es auch Einflüsse wie Werbung, die die Kunden positiv auf einen Wechsel einstimmen?
Grimmer: Ja, hier gab es einige sehr positive Kampagnen. Geholfen hat beispielsweise die „Schweinehund“-Werbung von Yello. Die Aussage war: Der Wechsel ist sicher, er ist kostenlos, Du musst nur endlich vom Sofa aufstehen, und schon sparst Du Geld. Oder denken Sie an den Anbieter E-Wie-Einfach: Hier ist der einfache Anbieterwechsel schon im Namen enthalten. Aktuell ist die Werbung für den Tarif ohne Grundpreis sehr effektiv: Eine Frau schaltet den Föhn an: „Jetzt zahl‘ ich“, sie schaltet ihn aus: „Jetzt zahl‘ ich nicht“. Das kommt an!
Stromtipp.de: Was für einen Tarif wollen die Kunden denn?
Grimmer: Es gibt zwei hervorstechende Merkmale, die aus dem ganzen Bündel herausstechen: Kunden reagieren so positiv auf eine Preisgarantie, wie sie negativ auf Vorauskasse reagieren. Letzteres ist eigentlich erstaunlich …
Stromtipp.de: Warum?
Grimmer: … nun ja, die Ablehnung der Vorauskasse kommt aus einem prinzipiellen Nicht-Wollen, nicht aus den finanziellen Belastungen, die bei der Vorauszahlung des jährlichen Strompreises entstehen würden. Die Kunden wollen schlicht nicht für etwas bezahlen, was sie noch nicht haben. Dabei ist das in anderen Branchen, wie beispielsweise bei der Kfz-Versicherung, längst üblich. Da ist es nur mit dem Begriff „jährliche Zahlungsweise“ besser versteckt. Eine Frage des Marketings, aber auch der Gewöhnung.
Über Psychonomics: YouGovPsychonomics misst täglich im Online-Panel das Markenimage von Energieversorgern mit dem „BrandIndex“, befragt und analysiert regelmäßig die Wechselbereitschaft mit dem „Stromkunden-Wechselbarometer“, und testet im Auftrag vieler Kunden Tarife, Werbemittel und Markenkonzepte.