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Reportage: Wer macht Urlaub beim Atommülllager?


Immer wieder wehren sich Bürgerinitiativen gegen die Lagerung von Atommüll nur in Norddeutschland. Was würde eigentlich passieren, wenn der strahlende Müll der Atomkraftwerke zum Beispiel in Bayern gelagert würde? Eine Reportage.
 
Wenn der Bürgermeister der Bayerwaldgemeinde Thurmansbang, Martin Behringer, Nachrichten über die fehlende Eignung von Gorleben als Atomendlager hört, wird er nervös. Denn er befürchtet, dass seine Heimat ins Visier der Politiker und Wissenschaftler bei der Suche nach einem Endlager geraten könnte. Grund ist der Saldenburger Granit, auf dem Thurmansbang steht.
 
Einer Studie der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe
(BGR) ist das Gestein "bedingt als Standortregion geeignet". Positiv sei die relativ homogene Zusammensetzung. Dagegen spreche die geotektonische Lage zwischen zwei größeren Störungszonen - also Erdbebengefahr. Außerdem würden kristalline Gesteine derzeit im Vergleich zu Salzstöcken wie in Gorleben und Tonformationen "für die Endlagerung radioaktiver Abfälle nicht favorisiert", heißt es vonseiten der BGR.
 
Doch die Bürger kann das nicht beruhigen. Der Freie-Wähler-Politiker Behringer leitet eine Bürgerinitiative, die seit Jahren gegen die mögliche Auswahl des Bayerischen Waldes als Endlager kämpf. "Nein Danke!" steht auf einem leuchtend gelben Plakat, das Behringer hat drucken lassen. Daneben ist ein durchgestrichenes Strahlungslogo zu sehen. Der gelernte Konditor Behringer ist ein ruhiger, sachlicher Mann. Aber einfach hinnehmen würde er die Errichtung eines Endlagers nicht, betont er: "Wackersdorf war das beste Beispiel. Dieser Widerstand wäre auch bei uns sofort da." In den 80er Jahren kam es an der Baustelle der damals geplanten atomaren Wiederaufarbeitungsanlage zu schweren Unruhen zwischen Gegnern und der Polizei.
 
Inge Bornschlögel, Gemeinderätin in der Nachbargemeinde Schönberg und ebenfalls Mitglied der Bürgerinitiative, baut auf die Mentalität der "Waidler", wie sich die Menschen im Bayerischen Wald selbst nennen. "Die Region steht zusammen. Wir halten uns lange ruhig", sagt sie - und Behringer vollendet den Satz "bis es kracht." Befürworter eines Atommülllagers im Osten Bayerns habe er noch nicht getroffen. "Das würde auch keiner öffentlich sagen", meint Behringer - und irrt sich. Im örtlichen Getränkemarkt der 2500-Einwohner-Gemeinde wird sehr viel wohlwollender über das Thema diskutiert.
 
"Ich bin schon dafür, das bringt Arbeit", sagt Ladenbetreiber Friedrich Kamm. Der Tourismus werde ja auch immer weniger. Er sieht die Atomenergie und ihre Altlasten «als Zukunftsperspektive für die Region». Der Bayerische Wald solle sich das aber "ordentlich bezahlen lassen". Natürlich sehe er auch die Gefahren: "Wünschenswert ist das nicht, aber von Wünschen kann man nicht leben."
 
Auch den Anti-Endlager-Aktivisten ist klar, dass der bereits produzierte Atommüll irgendwo hin muss. "Aber es darf bei der Entscheidung nicht das Gefühl herrschen, dass gemauschelt worden ist", mahnt Bornschlögel. Diesen Eindruck gebe es bei der Vorentscheidung der Bundesregierung für den Standort im niedersächsischen Gorleben durchaus, kritisiert die Kommunalpolitikerin. "Ich fürchte, es wird letztlich eine politische Entscheidung." Das sieht auch der Grünen-Landtagsabgeordnete Eike Hallitzky so: "Wenn die Frage politisch entschieden wird, könnte es den Bayerischen Wald treffen." Verantwortlich dafür sei die Haltung der CSU als einer der stärksten Befürworter der Kernenergie in Deutschland. Das Argument, dass dann auch Bayern die Verantwortung für die Entsorgung tragen müsse, sei schwer von der Hand zu weisen.
 
Für den Bayerwald als Endlager spricht laut Behringer zudem, dass es hier große Flächen in Staatsbesitz gebe, was die Blockademöglichkeiten von kritischen Grundbesitzern einschränke. Außerdem sei die Bevölkerungsdichte in der Region nicht sehr hoch. Gegen den Saldenburger Granit als Lagerstätte sprächen jedoch die hohen Bohrkosten in dem harten Fels. Das sei in Salz oder in Ton sehr viel leichter. Außerdem sei der Bayerische Wald ohnehin schon "in jeglicher Form benachteiligt", beklagt der Bürgermeister des Luftkurorts Thurmansbang. Da dürfe nun nicht auch noch der Tourismus gefährdet werden: "Wer macht schon auf einem Atomendlager Urlaub?"
 
Doch die Gefahren der Kernenergie sind in Bayerischen Wald auch jetzt schon präsent. Bis zum tschechischen Pannenreaktor Temelin sind es nur knapp 90 Kilometer Luftlinie. "Wenn das in die Luft geht, gibt's bei uns nichts mehr. Dann können die das Endlager hierher bauen."
(Ulrich Meyer, ddp)