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Grünen-Chef: "nie wieder" Verträge mit Atomwirtschaft


Im Interview mit ddp-Korrespondentin Kathrin Hedtke kritisiert der Grünen-Landeschef Tarek Al-Wazir die Klimaziele der Landesregierung und wirft den Energiekonzernen Trickserei vor: Seiner Meinung nach sollte man "nie wieder" Verträge mit ihnen schließen.

ddp: In Kopenhagen diskutieren Politiker über die Rettung des Klimas, in Hessen wird der Flughafen ausgebaut, das Kohlekraftwerk Staudinger soll erweitert werden, und es ist eine Laufzeitverlängerung des Atomkraftwerks Biblis im Gespräch. Wie passt das zusammen?
Al-Wazir: Das passt überhaupt nicht zusammen. Wir warten in dieser Legislaturperiode schon das ganze Jahr auf das angekündigte Energiekonzept von Umweltministerin Silke Lautenschläger (CDU). Gleichzeitig sorgen CDU und FDP dafür, dass der Umbau auf erneuerbare Energien weiter blockiert wird - zum Beispiel durch ihre Entscheidung, im Ballungsraum Rhein-Main die Windkraftvorrangflächen aus dem Regionalplan zu nehmen. Wir leben in Hessen inzwischen nach über zehn Jahren CDU/FDP-Regierung bei den erneuerbaren Energien hinter dem Mond.
 
ddp: Derzeit stammen in Hessen knapp fünf Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien. Im Koalitionsvertrag der schwarz-gelben Landesregierung steht nach Angaben der Ministerin "das ehrgeizige Ziel", den Anteil bis 2020 auf 20 Prozent zu steigern ...
 
Al-Wazir: Das ist überhaupt nicht ehrgeizig. Als die Grünen an die Bundesregierung kamen, lag der Anteil der erneuerbaren Energien bei der Stromerzeugung bei 4,8 Prozent. Dank unserer Arbeit waren es letztes Jahr mehr als 15 Prozent. Das bedeutet eine Verdreifachung in weniger als zehn Jahren - und das obwohl es Länder wie Hessen gibt, die alles blockiert haben. Im bundesweiten Vergleich liegt Hessen ganz weit hinten. Schlechter schneiden nur noch die Stadtstaaten ab, allerdings aus verständlichen Gründen, weil sie eine andere Struktur haben.
 
ddp: Wie realistisch ist das Ziel von 20 Prozent bis 2020?
Al-Wazir: Das ist nicht nur realistisch, das ist zu wenig, wenn wir die Notwendigkeiten betrachten. Wir müssen den Anteil erneuerbarer Energien deutlich erhöhen. Und Ziel muss sein, 40 Prozent weniger CO2-Ausstoß im Jahr 2020 zu haben.
 
ddp: Windkraft, Photovoltaik, Biomasse, wo sehen Sie ganz besonders Potenzial?
 
Al-Wazir: Wir brauchen einen Mix von allem. Wir haben sogar in bestimmten Regionen in Hessen zusätzlich die Möglichkeit, Geothermie zu nutzen. Aber wenn wir schnell einen großen Anteil erzielen wollen, kommen wir in Hessen an der Windkraft nicht vorbei. Wir wollen Hessen nicht damit zupflastern, aber wir brauchen einen gewissen Anteil an leistungsfähigen, neuen Windkraftanlagen. Solange die Landesregierung das blockiert, wird es mit dem Umstieg auf erneuerbare Energien nicht schnell vorangehen. Die Windkraft ist die bisher effizienteste und kostengünstigste Form der erneuerbaren Energien. Das kann sich in Zukunft ändern, denn auch die Photovoltaik wird leistungsfähiger und gleichzeitig immer preiswerter. Auf absehbare Zeit ist die Windkraft aber vorne, also kommt man an ihr nicht vorbei.
 
ddp: Ein großes Thema ist und bleibt Biblis. Biblis B ist jüngst wieder ans Netz gegangen, dem Atomausstieg zufolge müsste der Block Ende 2009 abgeschaltet werden. Das Anfahren von Biblis A wurde gerade auf März verschoben, eigentlich sollte Mitte 2010 endgültig Schluss sein. Wie schätzen Sie die Chancen auf eine Abschaltung der Reaktoren ein?
 
Al-Wazir: Die Energiekonzerne spielen ganz offensichtlich ein Spiel: Sie halten die Kraftwerke künstlich vom Netz, um Reststrommengen zu behalten. Sie hoffen natürlich, dass CDU und FDP auf Bundesebene das Atomgesetz ändern, damit sie die alten Reaktoren weiterlaufen lassen können. Die Argumente dafür sind aber falsch: Wir brauchen keine längere Laufzeit der Atomkraftwerke. Das sieht man alleine schon daran, dass zum Beispiel Biblis A und B jahrelang abgeschaltet waren und Deutschland trotzdem Strom in andere Länder exportieren konnte. Die erneuerbaren Energien sind so schnell gewachsen, dass es überhaupt kein Problem ist, die Kraftwerke vom Netz zu nehmen. Außerdem sind die Atomkraftwerke genau das Gegenteil einer Ergänzung zu erneuerbaren Energien. Die erneuerbaren Energien sind noch relativ schwankend, was bedeutet, dass man sie flexibel ausgleichen muss. Aber ein Atomkraftwerk ist dafür gedacht, dass es als Grundlastkraftwerk am Netz ist.
 
ddp: Bereuen Sie manchmal, dass die rot-grüne Bundesregierung damals beim Atomausstieg ein Schlupfloch gelassen und kein klares Datum für die Abschaltung festgelegt hat?
 
Al-Wazir: Man könnte lange drüber reden, wie es dazu kam und welche Rolle unser damaliger sozialdemokratischer Koalitionspartner auf Bundesebene inklusive des Bundeskanzlers hatte. Aus heutiger Sicht sollten wir nie wieder mit Managern der Energiekonzerne Verträge schließen. Sie sind eben keine ehrbaren Kaufleute und halten sich nicht an das, was sie selber unterschrieben haben. Mit solchen Leuten kann man leider nur ordnungsrechtlich umgehen.
 
ddp: Die Anti-Atomkraft-Bewegung ist wieder ziemlich stark geworden, was muss passieren, damit auch in Hessen wieder mehr Menschen gegen Biblis auf die Straße gehen?
 
Al-Wazir: Momentan sind wir noch in einer Phase, wo nicht klar ist, in welche Richtung die neue Bundesregierung letztlich steuern wird. Es gibt kein Energiekonzept auf Bundes- oder auf Landeebene. Ich befürchte allerdings spätestens nach der NRW-Wahl das Schlimmste. Aber ich glaube, dass in der Sekunde, in der ein Entwurf für ein neues Atomgesetz auf dem Tisch liegt, der Protest stärker wird. Der Atomkonsens hat einen großen Teil zur Befriedung der Gesellschaft beigetragen. Wer den jetzt aufkündigt, trägt dann auch die Verantwortung dafür, diese Befriedung in Gefahr zu bringen.

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