Atomlager wird abgerissen

Mit voller Kraft stemmt sich der Bagger gegen die stahlbewehrte Betonwand. Baggerführer Bernd Fuhrmann setzt den Hydraulikhammer an, dann gräbt sich der Riesenmeißel mit ohrenbetäubendem Lärm zentimeterweise in die meterdicke Mauer. Mit einem Hydraulikdruck von 360 Bar zerlegt die Maschine auf dem Gelände des stillgelegten Kernkraftwerks (KKW) Lubmin eine Konstruktion, die einst zur höchsten KKW-Sicherheitszone gehörte. Der Abriss des früheren atomaren Nasslagers, in dem einst abgebrannte Brennelemente deponiert wurden, geht in diesen Tagen in die entscheidende Phase.
 
Die Baugrube, an der sich gleich drei Bagger durch den Betonschutt kämpfen, war einst eines von vier Wasserbassins. In den zehn Meter tiefen, mit Edelstahl ausgekleideten und von der Öffentlichkeit abgeschotteten Becken lagerten bis 2006 unter Wasser zeitweise bis zu 4.547 hochradioaktiv strahlende Brennelemente aus den ostdeutschen Atommeilern Lubmin und Rheinsberg. Weil das Gebäude nicht ausreichend gegen eventuelle Flugzeugabstürze oder Terroranschläge gesichert war, wurde der Brennstoff später in Castorbehälter umgeladen und in das benachbarte, neue atomare Zwischenlager Nord gebracht.
 
Die Abbrucharbeiten an dem inzwischen dekontaminierten und von Technik befreiten Nasslager dauern wohl noch Wochen, schätzt Vorarbeiter Dieter Schlorf von der Sächsisch-Thüringischen Abriss-, Abbruch- und Sprenggesellschaft, die auch schon die tonnenschweren Turbinentische im ehemaligen Maschinenhaus zertrümmerte. Die massiven, bis zu drei Meter dicken Stahlbetonwände der Spezialbassins seien eine Herausforderung für sich, sagt Schlorf. Bis August müssten 40.000 Tonnen Beton und 1.300 Tonnen Schrott entsorgt werden.
 
Noch in den Anfangsjahren der 1966 und 1973 in Betrieb gegangenen KKW Rheinsberg und Lubmin musste sich die DDR keine Gedanken über die Entsorgung des Kernbrennstoffs machen. Jahrelang habe damals die Sowjetunion die verbrauchten Brennstoffkassetten wieder zurückgenommen, sagt die Sprecherin der Energiewerke Nord (EWN), Marlies Philipp. Bis Anfang der 80er Jahre rollten die Hochsicherheitszüge mit der atomaren Fracht über Polen zu den sowjetischen Wiederaufbereitungsanlagen. Bewacht von Stasi und Polizei liefen die nächtlichen Transporte als Geheimoperation "Kassettenschloss" etwa zweimal pro Jahr gen Osten. Als sich die UdSSR dann weigerte, weiterhin Brennelemente in ihren überlasteten Anlagen aufzunehmen, musste 1985 in Lubmin ein eigenes Zwischenlager errichtet werden.
 
 
Mit dem Abriss des sogenannten Zwischenlagers für abgebrannte Brennelemente (ZAB) geht zugleich der Rückbau der ostdeutschen Atomaltlast in die Endphase. Nachdem in Rheinsberg der Abbau bereits weitgehend abgeschlossen ist, müssen in Lubmin noch die früheren Schutzzonen um die bereits ausgebauten Reaktordruckgefäße beseitigt werden. Im Block 3 warten noch sechs Dampferzeuger auf ihre Demontage. Der rund 3,2 Milliarden Euro teure KKW-Rückbau in Ostdeutschland soll 2012 weitgehend abgeschlossen sein.
 
Zeitgleich entsteht in Lubmin ein Industriepark, in dem schon heute Windkraftanlagen und Schiffssektionen gebaut werden. Am Donnerstag beginnt zudem am Ufer des Greifswalder Boddens der Bau der Anlandestation für die deutsch-russische Ostseepipeline.
 
Übersicht:
  • Das Zwischenlager für abgebrannte Brennelemente (ZAB) in Lubmin wurde 1985 als Nasslager in Betrieb genommen. Das heißt, der Kernbrennstoff wurde unter Wasser gelagert und nicht - wie vielerorts üblich - "trocken" in sogenannten Castor-Behältern.
  • Ausgelegt für die Aufnahme von bis zu 4.680 hochradioaktiv strahlenden Brennelementen war das ZAB bis 2006 in Betrieb. Die Brennelemente wurden inzwischen komplett in Castorbehälter verpackt und im neuen atomaren Zwischenlager Nord in Lubmin eingelagert.
  • Mit einer Fläche von 3.100 Quadratmetern verfügte das Nasslager über drei Lager- und ein Reservebecken. Die 21,8 Meter langen, 8,3 Meter breiten und rund 10 Meter tiefen, mit Spezialstahl ausgekleideten Bassins waren mit Wasser als Strahlenblockade gefüllt. In jedem dieser Becken konnten bis zu 52 Edelstahlbehälter eingebracht werden, in denen wiederum jeweils 30 Brennelemente untergebracht waren.
  • Die durch Nachzerfall des Brennstoffs entstehende Restwärme wurde über ein Beckenkühlsystem abgeführt. Zudem wurde das zwischen 30 und 40 Grad warme Wasser ständig von Korrosions- und Spaltprodukten gereinigt. Transportiert wurden die Lagerbehälter mit Brennelementen auf Spezialwaggons über ein werkeigenes Schienennetz.
  • Ursprünglichen Planungen zufolge sollten die Brennelemente 20 bis 40 Jahre in dem Lager verbleiben, bis ein Endlager zur Verfügung steht. Weil das Lager aber zum Beispiel unzureichend gegen Flugzeugabstürze gesichert war, entschloss man sich zur Schließung und Umlagerung in Castorbehälter.
 
(ddp / Ralph Sommer)
 

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