Hessen sucht Standplatz für Stromproduktion aus Geothermie
Langsam senken sich die metallischen Rüttelplatten auf den sandigen Boden. Die unterhalb von vier Spezialfahrzeugen angebrachten Platten lassen die Erde am Rande eines Spargelackers im südhessischen Büttelborn für einige Sekunden vibrieren. Dann setzt sich die Fahrzeugkolonne wieder in Bewegung und lässt rund 40 Meter weiter die Erde erneut beben. "Hoch sensible Mikrofone zeichnen die reflektierten Schallwellen auf, die Aufschluss darüber geben sollen, wo es in mehreren Tausend Metern Tiefe wasserführende Gesteinsschichten gibt", sagt Marc André Glöckner vom Überlandwerk Groß-Gerau (ÜWG).
Der kommunale Energieversorger will im Jahr 2013 das erste Geothermiekraftwerk Hessens in Betrieb nehmen. Derzeit erkundet das Unternehmen ein rund 240 Quadratkilometer großes Gebiet im Bereich der Landkreise Darmstadt-Dieburg und Groß-Gerau sowie des Rhein-Taunus-Kreises, um den besten Standort für das Kraftwerk zu finden. Dort sollen dann mit dem heißen Wasser aus der Tiefe Turbinen angetrieben werden, die mit einer Leistung von drei Megawatt den jährlichen Stromverbrauch von rund 7.200 Haushalten decken könnten.
Der Oberrheingraben biete ideale Voraussetzungen für die Nutzung von Erdwärme, über die kaum ein anderer Landstrich verfüge, betont Johann-Gerhard Fritsche vom Hessischen Landesamt für Umwelt und Geologie (HLUG). In der Region gebe es bereits in einer Tiefe von 2.000 Metern Gesteinsschichten, in denen 120 Grad heißes Wasser eingelagert sei. "Erst ab dieser Wassertemperatur ist es wirtschaftlich sinnvoll, Strom aus Erdwärme zu gewinnen." In der für Erdwärmeanwendungen interessanten Region hätten sich mehrere Unternehmen entsprechende Erkundungsrechte gesichert.
Aufsehenerregende Vorfälle nach geothermischen Bohrungen wie die Überschwemmung vor dem Finanzministerium in Wiesbaden oder sich hebende Häuser im baden-württembergischen Staufen weckten indes Ängste vor dieser neuen Art der Energiegewinnung. Bei diesen Fällen habe es sich um oberflächennahe Geothermie gehandelt, deren Bohrungen nicht tiefer als 400 Meter gereicht hätten, sagt Fritsche. Bei tieferen Bohrungen werde eine andere Technik verwendet. So würden bei den Bohrungen unter anderem verschiedene Rohre ineinandergeschoben und das Erdreich entsprechend gesichert, um den ungewollten Austritt von Wasser zu verhindern.
In Staufen sei austretendes Wasser zudem unglücklicherweise auf eine Anhydritschicht getroffen. "Die Flüssigkeit ließ das Mineral aufquellen, welches anschließend den Erdboden anhob", erläutert Fritsche. Um solche Vorkommnisse in Hessen zu verhindern, seien Regionen, in denen Anhydrit vorkomme, als "ungünstige Gebiete" ausgewiesen worden.
Ingo Sass vom Institut für Angewandte Geowissenschaften der Technischen Universität Darmstadt berichtet von "etwa zwei bis drei besorgten Menschen pro Woche, die sich melden, um sich über die Gefahren von Geothermie zu informieren". Der Geologe schätzt die Risiken der neuen Technologie ihm Vergleich zu deren Potenzial als gering ein. Wenn die Kernenergie abgelöst werden solle, sei "es einfach notwendig, neue Wege zu gehen", sagt Sass. Im Gegensatz zur Wind- und Sonnenenergie sei die Geothermie unabhängig vom Wetter und jederzeit verfügbar.
Nach Ansicht von Umweltministerin Silke Lautenschläger (CDU) steht die Tiefengeothermie "noch am Anfang". Für das Jahr 2020 geht das Ministerium bislang von einer Leistung der erneuerbaren Energieform von jährlich einer Milliarde Kilowattstunden aus.
In Hessen habe sich in den vergangenen Jahren bereits der Einsatz oberflächennaher Geothermie deutlich erhöht, sagt Fritsche. Das HLUG zähle mittlerweile fast 5800 sogenannte Erdwärmesonden, mit denen hessische Haushalte ihre Wohnungen heizen. Die Tendenz sei steigend. Für diese Nutzung von Geothermie sind laut Fritsche durchschnittliche Bohrungen von maximal 100 Metern notwendig.
(Florian Bittler/ddp)