33 Jahre Protest in Gorleben
Der Widerstand gegen das Atommüll-Endlager in Gorleben ist nie abgeflaut - 33 Jahre nach der Standortbenennung hat sich die Protestbewegung aber verändert.
Die Bürgerinitiative (BI) Umweltschutz Lüchow-Dannenberg bestand schon, als Niedersachsens Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU) am 22. Februar 1977 Gorleben als Standort für ein "Nukleares Entsorgungszentrum" benannte. Es sollte ein riesiger Atomkomplex werden mit Wiederaufarbeitungsanlage, Endlager und mehreren Zwischenlagern. Doch erst nach dieser Entscheidung verzeichnete die BI großen Zulauf von außen, erinnert sich die Grünen-Politikerin Rebecca Harms: "Mitglieder waren erst mal nicht die Zugereisten, sondern viele der Honoratioren aus Lüchow und aus Dannenberg, Geschäftsleute, Rechtsanwälte, Lehrer", sagt die Europa-Abgeordnete, die selbst aus dem Kreis Lüchow-Dannenberg stammt.
Mit den auswärtigen Atomkraftgegnern aus den Städten, die zu jener Zeit die Bauzäune in Brokdorf und Grohnde berannten und sich dort heftige Auseinandersetzungen mit der Polizei lieferten, hatte die BI zunächst nicht viel im Sinn: "Wir waren Provinz und wir wollten in der Provinz Politik machen", sagt ihr Mitbegründer und Sprecher Wolfgang Ehmke. "Man konnte die Leute nur da abholen, wo sie sind." Wären die Aktionsschritte zu schnell gewesen, hätte "das politische Lernen nicht reifen und wachsen können".
Im März 1979 brachen Hunderte Lüchow-Dannenberger Landwirte mit Traktoren zu einem Treck nach Hannover auf und wurden dort von mehr als 100.000 Demonstranten empfangen. Lüchow-Dannenberger und Auswärtige protestierten erstmals gemeinsam gegen Atomkraft. Das beeindruckte auch die Politiker. Eine Wiederaufarbeitungsanlage in Gorleben sei politisch nicht durchsetzbar, telegrafierte Albrecht an Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD). Die Erkundung des Salzstocks ging aber weiter, auch ein Zwischenlager wurde gebaut.
Etwa ein Jahr später besetzten Tausende Atomgegner aus der ganzen Bundesrepublik eine Lichtung im Gorlebener Wald und riefen die "Freie Republik Wendland" aus. Auf dem sandigen Boden errichteten sie Hütten aus Baumstämmen, Stroh und Glas. Sie bauten ein großes Rundhaus für Versammlungen, eine Batterie von Latrinen, einen Schweinestall und ein Passhäuschen mit Schlagbaum, wo "Wendenpässe" ausgestellt wurden und über dem die grün-gelbe Wendlandfahne flatterte. Das Verhältnis zwischen einheimischen und auswärtigen Atomkraftgegnern entspannte sich weiter. Von nun an, so Wolfgang Ehmke, wurde "mit viel weniger ideologischer Verbissenheit als früher um die richtigen Widerstandskonzepte gestritten".
In den folgenden Jahren erlahmte im Bundesgebiet jedoch der Schwung der Anti-Atom-Bewegung. Bürgerinitiativen fielen auseinander, ihre Mitglieder engagierten sich in anderen gesellschaftlichen Konflikten oder zogen sich ins Berufs- und Privatleben zurück. Der Widerstand in Gorleben aber blieb lebendig. Als Tieflader 1984 die ersten Fässer mit schwach radioaktivem Atommüll ins Wendland karrten, verbarrikadierten tausende Lüchow-Dannenberger mit Baumstämmen, Autos und ihren Körpern sämtliche Zufahrtsstraßen in den Landkreis.
"Wenn Du Standortpolitik machst", beantwortet Wolfgang Ehmke die Frage nach den Gründen für die Ausdauer der BI, "kannst du dir eigentlich nicht aussuchen, ob du dich mal engagierst und mal nicht". An einem Tag stimme der Gemeinderat über einen Flächennutzungsplan ab, an einem anderen diskutiere der Kreistag, am dritten beschließe der Landtag den Bau einer neuen Polizeikaserne. "Ständig stehen Entscheidungen an, die nach politischen Antworten und Reaktionen verlangen. Du hast deshalb gar keine Zeit, dich zurückzulehnen und zu sagen, na ja, wollen wir es mal zwei, drei Jahre ruhiger angehen lassen."
Längst sind BI und Bauern nicht mehr allein im Widerstand. Es gibt die Gorleben-Frauen, die Senioren-Initiative "Graue Zellen", Schülergruppen, unabhängige Castor-Komitees und den atomkraftkritischen Motorradclub "Idas" - schon in der griechischen Mythologie war "Idas" ein Widersacher von "Castor". Auch Christen engagieren sich im Widerstand. Sie veranstalten Gottesdienste, Kreuzwege und jeden Sonntag am Endlager-Bergwerk das "Gorlebener Gebet". Bei den Castor-Transporten mit Atommüll, die seit 1995 nach Gorleben rollen, vermitteln Pastoren zwischen Demonstranten und der Polizei.
Zehn Transporte mit hochradioaktivem Atommüll sind bislang ins Zwischenlager Gorleben gebracht worden, teilweise erbittert haben Umweltschützer dagegen gekämpft. Sie befürchten, dass jeder weitere Castorbehälter ein Endlager in Gorleben wahrscheinlicher macht. Vom Zwischenlager müssten die strahlenden Abfälle nur ein paar Meter weiter in den Salzstock gebracht werden. Ein anderes, womöglich hunderte Kilometer entferntes Endlager würde dagegen neue Castortransporte und noch mehr Polizeieinsätze bedeuten.
Die Ankündigung der schwarz-gelben Bundesregierung, die Laufzeiten der Kernkraftwerke zu verlängern und die vor zehn Jahren unterbrochene Erkundung des Salzstocks wieder aufzunehmen, hat der Protestbewegung neuen Schwung verliehen. Fast jedes Wochenende wird nun in Gorleben demonstriert. Die atomkraftkritischen Landwirte starten am Mittwoch erneut zu einem Anti-Atom-Treck. Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) werde sich an Gorleben "die Zähne ausbeißen", sagen die Bauern. "Ein Endlager nehmen wir nicht hin."
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