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Zweifel an Energiegutachten der Regierung
Monatelang hat die Bundesregierung im Streit über den künftigen Kurs in der Energiepolitik auf das mit Spannung erwartete Gutachten zu den Auswirkungen unterschiedlicher Laufzeitverlängerungen verwiesen. Seit vergangenem Freitag liegen die Ergebnisse der Regierung vor. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erklärte daraufhin, aus fachlicher Sicht sei eine Laufzeitverlängerung um 10 bis 15 Jahre vernünftig.
Verbände und Wissenschaftler erheben jedoch deutliche Kritik an dem Gutachten. Sie bemängeln, dass die Annahmen der Forschungsinstitute nicht plausibel seien. Auch kritisieren sie, dass die Interpretation von Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP), das Gutachten lege Laufzeitverlängerungen zwischen 12 und 20 Jahren nahe, nicht gedeckt sei.
Die Nachrichtenagentur ddp dokumentiert hier die Kritik an den Berechnungen, die das Energiewirtschaftliche Institut an der Universität Köln (EWI), die Gesellschaft für wirtschaftliche Strukturforschung (GWS) und die Prognos AG in den vergangenen Wochen erstellt hatten:
WIRTSCHAFTSWACHSTUM: Der WWF kommt in einer Stellungnahme zu dem Schluss, dass eine Laufzeitverlängerung keinen nennenswerten Einfluss auf das Wirtschaftswachstum habe. Die Studie ergebe ein maximales Wirtschaftswachstum von 0,71 Prozent im Jahr 2050, wenn die Laufzeiten um 4 beziehungsweise 28 Jahre verlängert würden. Für die Szenarien 12 und 20 werde lediglich ein Wachstum von 0,56 und 0,54 Prozent erwartet.
STROMPREIS: In ihrer Studie für die Bundesregierung gehen die Gutachter davon aus, dass die Strompreise für die Haushalte in allen Zeithorizonten ungefähr vergleichbar sind. Ein ähnliches Bild ergibt sich für Handel und Gewerbe. Allerdings prognostizieren die Autoren in den verschiedenen Modellen mit Laufzeitverlängerung einen drastischen Verfall der Großhandelspreise. Bei einer Laufzeitverlängerung um 12 beziehungsweise 20 Jahre gehen die Gutachter für das Jahr 2050 von einem Großhandelspreis in Höhe von rund 20 Euro pro Megawattstunde aus.
Der WWF bezeichnet die Annahmen als "spekulativ", weil unterstellt werde, dass der Strom billig aus dem Ausland importiert werden könne. Felix Matthes vom Öko-Institut verweist in einer Kurzexpertise darauf, dass andere Analysen längerfristig zu einem Großhandelspreis in einer Größenordnung von 80 bis 90 Euro pro Megawattstunde kämen. Daher sei die Annahme erheblicher Stromimporte nicht konsistent zu den sonstigen Modellergebnissen und damit letztlich illusorisch.
KLIMASCHUTZ: Die Klimaschutzziele der Bundesregierung werden in allen Szenarien mit Laufzeitverlängerungen erreicht, nicht aber im Ausgangsmodell, in dem es beim Atom-Ausstieg bliebe. Matthes weist jedoch darauf hin, dass sich die Schwankungen in der CO2-Ersparnis vor allem in Bereichen bemerkbar mache, die vom Emissionshandel betroffen seien. Damit hebe sich der Effekt wieder auf, weil jede Tonne, die in Deutschland mehr eingespart werde, woanders durch das System des Emissionshandels mehr verbraucht werden könne.
ENERGIEPREISE: Die Kritiker äußern erhebliche Bedenken an der Annahme, dass die Preise für Steinkohle, Gas und Uran etwa auf Höhe des heutigen Niveaus bleiben werde, der Ölpreis jedoch deutlich ansteigen werde.
METHODIK DER STUDIE: Übereinstimmend monieren die Kritiker, dass die Gutachter Äpfel mit Birnen vergleichen hätten. So wichen die Grundannahmen für die acht Szenarien mit Laufzeitverlängerung (um 4, 12, 20, 28 Jahre mit jeweils unterschiedlich hohen Nachrüstkosten) von denen im Referenzszenario ohne Laufzeitverlängerung ab.
Die Organisation Germanwatch bemängelt, dass im Fall von längeren Meilerlaufzeiten jährliche Effizienzsteigerungsraten von 2,3 bis 2,5 Prozent angenommen werden, im Vergleichsszenario hingegen nur 1,7 bis 1,9 Prozent. Auch liege den Berechnungen in den acht Modellen mit Laufzeitverlängerung ein CO2-Preis von 75 Euro pro Tonne zugrunde, im Ausgangsmodell steige der Preis lediglich auf 50 Euro.
Der Ausbau der erneuerbaren Energien liegt in den Modellen mit Laufzeitverlängerung im Jahr 2050 bei rund 50 Prozent des Primärenergieverbrauchs, im Vergleichsszenario aber nur bei 31,8 Prozent. Übereinstimmend weisen die Kritiker darauf hin, dass die Bundesregierung selbst in ihrem aktuellen Aktionsplan erneuerbare Energien davon ausgehe, dass diese bis 2020 bereits 38,6 Prozent des Strombedarfs decken könnten.
(ddp / Nicole Scharfschwerdt)
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