"Flügelmänner" aus Mecklenburg sind weltweit gefragt

Wie eine Spinne an einem Faden schaukelt Andreas Prill an der langen Sicherheitsleine, die er in 60 Meter Höhe um die Nabe der Windkraftanlage geschlagen hat. Er stößt sich mit den Füßen ab, um im Wechsel links und rechts den 26 Meter langen Flügel des Windrades auf Schäden zu untersuchen. Der frostige Wind weht steif über den mecklenburgischen Acker, der zweite Mann des Teams steht zur Sicherung am Boden. Die beiden Industriekletterer von Rotor Energy warten Anlagen im Windpark bei Kavelstorf, am Tag schaffen sie etwa zwei Windräder. Sie arbeiten bei Wind und Wetter, bei einer winzigen Unachtsamkeit kann das gefährlich sein.
 
"Trotzdem, das ist ein dolles Gefühl da oben, nichts über oder unter sich, da hat man schon Respekt", sagt Erwin Kunz, der vor fünf Jahren das Unternehmen Rotor Energy in Petschow bei Rostock gegründet hat. Seit zehn Jahren übe er den Beruf eines «Flügelmannes» aus, «beim ersten Mal habe ich schon gemerkt: Das ist meine Berufung», sagt der studierte Landwirt, der immer am liebsten an der frischen Luft gearbeitet hat.
 
Mit Verträgen über die Wartung von rund 30 Windenergieanlagen sei er im ersten Jahr gestartet. «Jetzt begutachten wir etwa 500 im Jahr», berichtet Kunz. Die Windparks schössen überall nur so aus dem Boden, so dass die Hersteller selbst kaum noch mit Wartungsarbeiten hinterherkommen. «Wir haben mittlerweile Kunden in ganz Europa, Amerika und auch in Afrika.» Die Aufträge kämen von Privatleuten, die wie ein Kunde in Belgien bis zu 20 Anlagen besitzen, von Betreibergesellschaften bis hin zu Herstellern.
 
Etwa alle zwei Jahre müssten Windenergieanlagen gecheckt werden. "Wir gucken uns vor allem die Blätter an, ob sie Abnutzungserscheinungen oder andere Schäden haben", sagt Prill. "Blitzschäden gibt es öfter, da sieht man manchmal so eine verkohlte Stelle. Aber auch Steinschlag oder aufgewirbelter Sand hinterlassen Spuren", berichtet der 27-Jährige. Dafür kraxeln die Männer um die Blätter herum und inspizieren auch das Innere. Bei manchen Anlagen braucht man dafür eine Leiter: Von unten sehen die Flügel groß, aber nicht riesig aus; im Inneren dagegen ist das Blatt in der Nähe der Nabe bis zu drei Meter dick. "Über Kopf komme ich da nicht allein ran", sagt Prill. Im Inneren des Blattes kontrolliert er unter anderem die Blitzableiter, für die Kabel bis an die Spitze verlegt sind.
 
Mitunter reißen Verklebungen an der Hülle der Blätter, die meist aus Glasfaserkunststoff bestehen. An den Spitzen rotieren die Blätter mit Geschwindigkeiten bis zu 200 Kilometer pro Stunde, da wirken gewaltige Kräfte. Die Männer protokollieren die Risse, selbst wenn sie haarfein sind, und bessern kleine Schäden gleich an Ort und Stelle aus. "Für größere Schäden müssen wir mit der Hebebühne arbeiten, alles geht nicht mit der Abseiltechnik", erläutert Kunz. Bei irreparablen Beschädigungen muss der Besitzer ein neues Blatt anfertigen lassen, vorausgesetzt der Hersteller hat noch die passende Form.
 
In seinen zehn Jahren habe er es nur einmal erlebt, dass eine Windenergieanlage sofort stillgelegt werden musste, weil ein Blatt abzubrechen drohte, sagt Kunz. Die großen Reparaturwellen werden aber erst noch erwartet. "Die ältesten Anlagen sind 20 Jahre alt, das sind aber wirklich nur eine Handvoll. Der Boom kam ja erst später", betont Kunz.
 
Dass die Aufträge schon jetzt zunehmen, lässt sich an seiner Mitarbeiterzahl ablesen. Mittlerweile beschäftigt Kunz 25 Frauen und Männer, acht davon sind Industriekletterer. Zum Team gehören Bootsbauer, Elektriker, Zimmerleute und Mechaniker. In den vergangenen Jahren seien Umsatz und Mitarbeiterzahl schon jährlich um ein Drittel gewachsen, "aber ich will nicht nur immer noch mehr Aufträge annehmen, daran bin ich nicht interessiert", sagt der 30-Jährige.
 
Viel mehr interessieren ihn Spezialaufträge wie die Wartung von Offshore-Anlagen. "Dafür entwickeln wir gerade eine passende Arbeitsplattform", sagt Kunz. Im Herbst soll sie einsatzbereit sein. Für den ersten deutschen Hochsee-Windpark, Alpha Ventus nördlich von Borkum, seien sie schon engagiert worden, sagt Kunz.
(Katrin Schüler / dapd) 
 

 
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