Wissenschaftler gegen Stromausfall
Es war einer der schwärzesten Tage für die Stromversorgung auf dem Kontinent: Am 4. November 2006 waren vorübergehend Millionen Haushalte in Westeuropa ohne Strom. Allein in Deutschland gingen in mehr als einer Million Wohnungen plötzlich die Lichter aus. Zugleich legte der Energieausfall den Zugverkehr in Deutschland und Belgien stellenweise lahm. Wissenschaftler der Technischen Universität Dortmund arbeiten jetzt daran, dass sich solche Ereignisse möglichst nicht mehr wiederholen.
Das Hauptproblem, an dem die Dortmunder Stromforscher ansetzen:
"Das europäische Stromnetz wird nicht einheitlich überwacht. Es ist wie ein sich überlappender Flickenteppich. Jedes Land schaut nur auf seinen Bereich", sagt der Elektroingenieur Christian Rehtanz, Leiter des Lehrstuhls für Energiesysteme und Energiewirtschaft. So könnten sich Störungen ohne Vorwarnung im Netz ausbreiten.
So war es auch bei dem Super-Blackout 2006, dessen Ursache ein Fehler der Netztechniker war: Über der Ems war sicherheitshalber eine Starkstromleitung abgeschaltet worden, um einem Kreuzfahrtschiff der Papenburger Meyer-Werft die Durchfahrt zu ermöglichen. Doch die Folgen der Abschaltung wurden nicht richtig berechnet. So entstand eine Netzüberlastung, die sich im europäischen Netz ausbreitete und zu weiteren Leitungsabschaltungen führte - bis zum Blackout.
Rehtanz und sein Forscherteam wollen nun Wege finden, wie der Zustand des europäischen Stromnetzes künftig länderübergreifend kontrolliert werden kann. Für ihr Forschungsprojekt "Schutz- und Leitsysteme zur zuverlässigen und sicheren elektrischen Energieübertragung" bekamen sie jetzt von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) 1,9 Millionen Euro an Drittmitteln überwiesen.
Im Kern geht es den Dortmunder Stromforschern um den Aufbau eines europaweiten Messsystems: Spezielle, zu installierende Geräte sollen den Stromfluss in den Haupt-Transportkorridoren in regelmäßigen Abständen von Sekundenbruchteilen ermitteln und die Daten europaweit an die zuständigen Leitstellen weitergeben. "Wir haben bislang kein Jetztzeit-Bild des europäischen Stromnetzes", erläutert Rehtanz.
Würden die Leitstellen mit solchen Daten versorgt, könnten sie rechtzeitig auf Probleme wie etwa Spannungsabfälle reagieren. Ein Netztechniker etwa in der Schweiz wüsste dann schon unmittelbar, wenn es im Stromnetz des Nachbarlandes Italien zu Problemen kommt. Er ist damit vorbereitet und kann entsprechende Maßnahmen ergreifen - ein Vorfall wie 2006 würde damit unwahrscheinlicher.
Eine solche länderübergreifende Netzkontrolle wird aus Sicht der Stromexperten immer wichtiger, da die Netze schon jetzt zum Teil an der Kapazitätsgrenze arbeiten. Grund ist vor allem die zunehmende Einspeisung von Strom aus erneuerbaren Energien. Dieser Ökostrom muss zum Teil über lange Wege bis zum Endverbraucher transportiert werden, weil etwa Windenergie nur an der Küste und Strom aus Sonnenenergie nur in Südeuropa effizient zu erzeugen sind.
Nach der jüngsten Netzstudie der Deutschen Energieagentur (Dena) sind bis 2020 allein hierzulande rund 3.600 Kilometer an neuen Hochspannungsleitungen nötig, um die zunehmende Einspeisung der erneuerbaren Energien ins Netz zu bewältigen. Das entspricht einem Leitungszuwachs von zehn Prozent. Ein solcher Ausbau würde rund sechs Milliarden Euro kosten. Für den europaweiten Ausbau der Energieinfrastruktur veranschlagt die EU-Kommission einen Investitionsbedarf von 200 Milliarden Euro bis 2020.
Nachdem auch die Türkei an das europäische Strom-Verbundnetz angekoppelt wurde, sei der Handlungsbedarf noch größer geworden, betont Rehtanz. Dabei zeigt er in seinem Büro auf eine Europakarte, auf der sich Hochspannungsleitungen wie ein fragiles Ader-Gewirr über den Kontinent ziehen. Nicht zuletzt sei die Sicherheit der Stromversorgung auch ein Wirtschaftsfaktor: "Schon kurze Ausfälle können in der Produktion gravierende Schäden verursachen."
(Frank Bretschneider / dapd)