Der GAU im Wahlkampf

Sigmar Gabriel hielt öffentlich an sich. "Heute muss ein Tag des Innehaltens sein, nicht der parteipolitischen Auseinandersetzung", erklärte der SPD-Chef zu den dramatische Bildern von Rauchschwaden über dem japanischen Atomkraftwerk Fukushima und erinnerte an die Gefahren für die Menschen vor Ort.

Und auch Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) meinte, eine politische Debatte über die Kernkraftwerke in Deutschland wäre angesichts der Notlage in Japan "deplaziert".

Doch war wohl auch ihnen klar, dass staatstragende Appelle wenig fruchten, wenn mitten im Wahlkampf und wenige Monate nach der Abkehr vom Atomausstieg Eilmeldungen über eine Kernschmelze in Japan über deutsche Fernsehschirme flimmern. Die Reaktion kam denn auch prompt. "Die Ereignisse in Japan zeigen wie schon die Vorfälle in Tschernobyl und Harrisburg, dass Atomenergie nicht sicher beherrschbar ist", sagte SPD-Fraktionsvizechef Ulrich Kelber Handelsblatt Online. "Wir brauchen einen schnellstmöglichen Ausstieg."

Führende Grüne äußerten sich ähnlich und kritisierten gleichzeitig die Bundesregierung. Es sei unverständlich, dass Röttgen so tue, als bliebe Deutschland von den Vorgängen in Japan unberührt, meinte Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin. Es dürfte ein Vorgeschmack sein auf die nächsten Wochen vor den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg.

"Abschalten, abschalten, abschalten!"

Damit ist er wieder voll entfacht - der Dauerkonflikt der deutschen Innenpolitik der vergangenen Jahrzehnte. Trittin hatte als Bundesumweltminister den Ausstieg aus der Atomkraft im Jahr 2000 selbst ausgehandelt. Erst vor wenigen Tagen hatte er gemeinsam mit SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier eine Klage gegen die schwarz-gelbe Koalition präsentiert, die die Begrenzung der Laufzeiten im vergangenen Herbst rückgängig gemacht hatte.

Nun scheint ihnen das Unglück in Japan quasi die Begründung
nachzuliefern: "Die Atomkraftwerke der Welt sind gegen das Risiko einer Kernschmelze nicht gefeit", meinte Trittin. "Die Nicht-Beherrschung dieses Störfalls war in den 90er Jahren der Grund, nach Tschernobyl auch das deutsche Atomgesetz zu ändern, da auch die bestehenden Anlagen in Deutschland für diesen Fall nicht ausgelegt sind."

Der Präsident des Umweltverbandes NABU, Olaf Tschimpke, formulierte es noch eindringlicher: "Es gibt nur eine Lösung: Abschalten, Abschalten, Abschalten! Weg von dieser Energieform, weltweit und auch in Deutschland - und zwar so schnell wie möglich!"

Ein heikles Thema

Wie sich solche Appelle und die Katastrophe selbst auf die Landtagswahlen auswirken werden, ist wohl auch für die Wahlkämpfer noch unberechenbar. Für die Atombefürworter Union und FDP ist der Atomunfall hochgefährlich, sind die Deutschen doch sehr empfänglich für Ängste vor Atomkraft, wie auch die Katastrophe von Tschernobyl vor genau 25 Jahren zeigte. Aber auch für SPD, Grüne und Linke ist das Thema heikel. Wer möchte schon angesichts der Not und Lebensgefahren in Japan als unsensibler Gewinnler dastehen?

Am meisten jedoch dürfte nach der Katastrophe am anderen Ende der Welt für die deutschen Betreiber auf dem Spiel stehen - das zeigte auch die Reaktion des Atomkonzerns EnBW. Eilfertig bot Vorstandschef Hans-Peter Villis an, die Sicherheit seiner deutschen Anlagen zu überprüfen. "Wir müssen die technischen Vorgänge in den japanischen Kernkraftwerken auf Basis gesicherter Erkenntnisse analysieren und uns dann fragen, welche Konsequenzen wir aus diesen Geschehnissen für unsere Kernkraftwerke ziehen", sagte er der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Die aktuellen Ereignisse in Japan machten ihn betroffen und er nehme sie "sehr ernst."

Mahnung mit Verfallsdatum

Mit Blick auf die Landtagswahl in Baden-Württemberg am 27. März, wo Union und FDP um ihre Regierungsmehrheit zittern, schickte Villis gleich hinterher: "Eine politische Diskussion in Deutschland um die Zukunft der Kernkraft hilft weder den Menschen in Japan, noch kann sie aufgrund der noch ungesicherten Fakten jetzt technisch fundiert geführt werden."

Nützen dürfte dies ebenso wenig wie Gabriels Mahnung an die eigenen Reihen - für die der SPD-Chef im Übrigen gleich selbst ein Verfallsdatum nannte. Denn für die Debatte über den Atomausstieg gab er vor: "In den nächsten Tagen werden wir noch genug Gelegenheit haben, darüber zu sprechen."

(Verena Schmitt-Roschmann / dapd)

 

 

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