Atomausstieg: Keine AKW-Abschaltung per Knopfdruck möglich
Die Reaktorkatastrophe in Japan hat die Debatte um eine Abkehr von den verlängerten Laufzeiten der deutschen Atomkraftwerke (AKW) wiederbelebt. Doch die 17 AKW in Deutschland können aus technischen Gründen einerseits und energiepolitischen Überlegungen andererseits nicht einfach abgebaut werden. Experten erläuterten im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dapd, wie der Atomausstieg im Falle einer entsprechenden politischen Entscheidung vollzogen werden kann.
Aus der Perspektive der Sicherheit sei der Atomausstieg Deutschlands für die Bevölkerung sinnvoll, selbst wenn andere europäische Staaten nicht mitzögen, sagt Reinhard Leithner vom Institut für Wärme- und Brennstofftechnik der Universität Braunschweig. "Es ist zuerst immer die unmittelbare Umgebung des Kraftwerks, die bei einer Reaktorkatastrophe am stärksten radioaktiv verseucht wird", sagt er. Problematisch seien französische AKW am Rhein, da radioaktives Material hier im Katastrophenfall vom meist wehenden Westwind über die Grenze nach Deutschland transportiert werden würde.
"Ein AKW lässt sich aber nicht einfach per Knopfdruck ausschalten", sagt Leithner. Erster Schritt sei sowohl im Notfall als auch beim endgültigem Abbau immer das Entfernen der Brennelemente aus dem Reaktor, erläutert er. Anschließend müssten die uran- und plutoniomhaltigen, radioaktiven Brennstäbe im Abklingbecken in Wasser abkühlen. "Die Stäbe können dort jahrelang liegen, bevor sie in Spezialbehältern in Zwischenlagern eingelagert werden", fügt der Professor hinzu.
Nach Entfernung des Brennmaterials könnten die zum ersten Kreislauf des Kraftwerks gehörenden Teile wie der Reaktordruckbehälter abgebaut werden. "Das muss grundsätzlich mit Robotern gemacht werden, weil dieses Material hochgradig radioaktiv ist", sagt Hans-Joachim Krautz vom Lehrstuhl für Kraftwerkstechnik der Brandenburgischen Technischen Universität (BTU) in Cottbus.
Teile des zweiten Kreislaufes könnten demnach von Menschen mit entsprechender Strahlenschutzausrüstung abgebaut werden. Für den sogenannten Rückbau eines AKW gebe es mit dem Kernkraftwerk Nord bei Greifswald, das 1995 stillgelegt wurde, sogar einen Präzedenzfall.
Das Hauptproblem sei, dass es bisher kein Endlager für die radioaktiven Materialien gebe.
Energiepolitisch gesehen ist Deutschland nach Einschätzung des Sachverständigenrates für Umweltfragen (SRU) bereits ab dem Jahr
2022 nicht mehr auf Atomenergie angewiesen. "Der Anteil der erneuerbaren Energien am Energiemix, vor allem Windkraft und Solarenergie, wird sich bis dahin von derzeit 17 Prozent auf 40 Prozent vergrößert haben", sagt SRU-Generalsekretär Christian Hey in Berlin.
Nach Meinung von Leithner könnte Deutschland seine 17 AKW energiepolitisch gesehen aber schon jetzt vom Stromnetz nehmen:
"Kernkraft macht im Energiemix derzeit lediglich 20 Prozent aus".
Allenfalls in Spitzenlastzeiten könnte nach aktuellem Stand ein Energiemangel entstehen. "Zu diesen Zeiten müsste die Industrie besonders energiehungrige Systeme wie Elektroschmelzöfen oder Kühlhäuser kurzzeitig abschalten", erläutert der Professor. Ein Land wie Frankreich, wo Kernenergie im Energiemix bis zu 70 Prozent ausmache, stünde bei einem Atomausstieg vor wesentlich größeren Problemen.