Der Super-Gau: Was ist das eigentlich?
Aus vier Reaktoren tritt nach Explosionen Radioaktivität aus, die Kühlsysteme funktionieren seit Tagen nicht mehr, eine Kernschmelze hat offenbar längst eingesetzt: Angesichts der nicht enden wollenden Katastrophen-meldungen aus dem Kraftwerk im japanischen Fukushima sprechen viele Beobachter von einem GAU. Doch dieser Begriff verharmlost die Situation. "Wenn es nur um einen GAU ginge, wären die Folgen in jedem Fall beherrschbar", sagt Florian Jansen von der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS).
Das klingt paradox, denn in der Alltagssprache wird das Wort GAU oft als Synonym für eine praktisch nicht mehr beherrschbare Katastrophe mit unabsehbaren Folgen benutzt. Doch gerade das ist es nicht. Denn als GAU - als größten anzunehmenden Unfall - bezeichnen Experten einen Störfall, mit dem die Sicherheitssysteme eines Atomkraftwerks noch zurecht kommen müssen. Radioaktivität tritt bei einem GAU laut Definition kaum aus, die Umwelt wird nicht über die geltenden Grenzwerte hinaus belastet.
Zur Defintion eines GAUs - Fachleute sprechen eher vom sogenannten Auslegungsstörfall - werden in Modellrechnungen die Folgen unterschiedlicher Probleme untersucht, deren Auftreten amtlichen Stellen beim Betrieb eines Meilers als realistisch erscheint. Die Betreiber müssen die Sicherheitssysteme so auslegen, dass ihre Kraftwerke den GAU bewältigen können.
Das wahrscheinlichste Szenario für einen GAU, so dachten Fachleute ursprünglich, wäre ein vollständiger Bruch der Kühlmittelleitung. Die Betreiber mussten Atommeiler deswegen so konzipieren, dass von ihnen auch bei einem solchen Bruch keine Gefahr ausgeht. Mittlerweile wurden auch andere Szenarien für einen Auslegungsstörfall (GAU) berücksichtigt.
Stärke des Erdbebens und des Tsunamis nicht berücksichtigt
Die Unfälle in Japan konnten die Atomkraftwerksbetreiber, anders als bei einem GAU, nicht mehr kontrollieren. Die Meiler waren auch nicht auf die jüngsten Naturkatastrophen vorbereitet. Sie waren nur auf eine Erdbebenstärke von 8,2 ausgelegt, tatsächlich betrug die Stärke aber 9,0. Auch die Höhe der Tsunami-Welle hatten die Betreiber bei der Konzeption nicht berücksichtigt. Die Dieselaggregate zur Notstromversorgung der Kühlmittel liefernden Pumpsysteme waren durch die Wassermassen ausgefallen. Die ersatzweise bereitgestellten Batterien waren für einen Tage langen Dauerbetrieb zu schwach.
Die Meiler waren auf die externen Schocks nicht vorbereitet, die Auswirkungen waren nicht mehr kontrollierbar. "Entsprechend der Definition eines GAUs müsste man hinsichtlich der Geschehnisse in Japan also von einem Super-GAU sprechen", sagte GRS-Experte Jansen.
In der Fachsprache existiere das Wort Super-GAU zwar nicht, man spreche von einem auslegungsüberschreitenden Störfall. "Entscheidend ist aber, dass die Kraftwerke in Fukushima weder auf ein so starkes Erdbeben, noch auf einen so starken Tsunami ausgelegt waren", sagte Jansen.
(Ulrich Kraetzer / dapd)