"Das Moratorium ist eine Bevölkerungstäuschung"
Für das von der Bundeskanzlerin ausgerufene, dreimonatige Moratorium hätte Haselbeck noch Verständnis. Aber den plötzlichen Meinungsumschwung von Bayerns CSU-Umweltminister Markus Söder, der mittlerweile eine komplette Abschaltung des über 30 Jahre alten Reaktors fordert, kann Kommunalpolitiker Haselbeck, der von CSU und Freien Wählern unterstützt wird, nicht nachvollziehen. "Wenn es wirklich Sicherheitsbedenken gegeben hat, dann hätte das Kraftwerk doch schon längst nicht mehr laufen dürfen."
Tränen bei der Mahnwache
Ganz anders dagegen ist die Stimmungslage bei Mia Neumeier. Die Frau aus Landau an der Isar organisiert seit vergangenem Sommer allwöchentliche Mahnwachen in Niederaichbach. "Sonst kommen vielleicht 300 Leute - bei schönem Wetter", sagt Neumeier. Am Montag aber hätten sich über 1.000 Menschen vor Tor 13 des Kernkraftwerks versammelt. Viele von den Menschen hätten dabei Tränen in den Augen gehabt. "Die Leute konnten gar nicht glauben, dass der Reaktor vielleicht bald ganz abgeschaltet wird", berichtet Neumeier.
Isar 1 ging 1979 in Betrieb und ist eines der ältesten deutschen Kernkraftwerke. Der Meiler gehört dem Energiekonzern E.on. Dem ursprünglichen, noch von der rot-grünen Bundesregierung ausgehandelten Atomkompromiss zufolge sollte das Kraftwerk im Juni 2011 abgeschaltet werden. Nach der im vergangenen Jahr beschlossenen Laufzeitverlängerung dürfte der Meiler nun bis 2019 betrieben werden.
Mia Neumeier und die anderen Anti-Atomkraft-Aktivisten aus der Region beurteilen die Nachrichtenlage weiterhin mit Vorsicht. "Ich bin noch skeptisch, ob Isar 1 wirklich für immer vom Netz geht", sagt Neumeier. Und auch der stellvertretende Chef des Bund Naturschutz (BN) in Landshut, Paul Winterer, sagt: "Ich traue keinem mehr." Der 81-Jährige hat bereits vor 40 Jahren gegen das Genehmigungsverfahren für Isar 1 protestiert und gilt als Legende der niederbayerischen Anti-Atomkraftbewegung. "Das Moratorium ist eine Bevölkerungstäuschung. Die wollen nur über die Wahlen kommen", sagt Winterer über die Beweggründe der Bundesregierung.
Die Atomkraftgegner rund um Landshut wollen deshalb in den kommenden Monaten die Proteste aufrechterhalten. Am kommenden Samstag treffen sich die im lokalen Bündnis "Büfa" zusammengeschlossenen Initiativen wie jeden Monat zum gemeinsamen "Countdown" in der Landshuter Altstadt. Dann wird symbolisch die Restlaufzeit von Isar 1 heruntergezählt.
CSU-Rebell fühlt sich bestätigt
Der Landshuter CSU-Oberbürgermeister Hans Rampf ist enttäuscht von der Berliner Politik. "In der Debatte um die Laufzeitverlängerung hatte uns die Bundesregierung eine Einzelfallprüfung versprochen. Diese ist nie erfolgt", sagt Rampf im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dapd. Rampf und die Landshuter CSU zogen deshalb schon im vergangenen Jahr die Konsequenzen: In einer Resolution scherten sie aus der offiziellen Parteilinie aus und forderten die Abschaltung von Isar 1.
Die Aktion der abtrünnigen CSUler sorgte damals für bayernweites Aufsehen. Jetzt fühlt sich Rampf bestätigt. "Wir haben im Sinne der Bürger gehandelt." Die Ereignisse in Japan zeigten, dass die auch in Isar 1 verwendete Siedewassertechnologie an ihre Grenzen gelangt sei.
Ein Sprecher von E.on Kernkraft teilte am Mittag mit, man werde Isar 1 freiwillig für die Dauer des Moratoriums von drei Monaten herunterfahren. "Wir leisten hier einen Beitrag zur Versachlichung", sagte der Sprecher der dapd. Die zeitweise Abschaltung bedeute jedoch kein Eingeständnis von Sicherheitsmängeln.
Während man bei E.on noch glaubt, den Meiler nach Ablauf des Moratoriums wieder hochfahren zu können, denkt Bürgermeister Haselbeck aus Niederaichbach bereits an die Zukunft nach Isar 1. Etwa die Hälfte der rund 700 in Isar 1 und dem benachbarten Isar 2 beschäftigten Arbeitskräfte dürften von der Abschaltung des Atomreaktors betroffen sein, schätzt das Gemeindeoberhaupt. Außerdem müssten viele Zulieferer und Handwerksbetriebe mit Einbußen rechnen. Haselbeck hofft, dass Betreiber E.on für einen Ausgleich sorgt. Sein Vorschlag: "Die vorhandene Infrastruktur könnte weiter für die Stromproduktion genutzt werden, zum Beispiel mit einem Gaskraftwerk."
(Uli Scherr / dapd)