Doppelausstieg aus Kernkraft und Kohle nicht angesagt
Zum Primärenergieverbrauch - darunter wird die gesamte Menge an Energie verstanden, die einer Volkswirtschaft zur Verfügung gestellt wird, also zum Beispiel auch Wärme oder Kraftstoffe - trugen im vergangenen Jahr die erneuerbaren Energien etwa gleich viel wie die Kernenergie bei. Der Anteil der Kernenergie belief sich nach den Zahlen der AG Energiebilanzen 2010 auf 10,9 Prozent.
Auch über den Stromverbrauch hinaus stieg der Anteil der erneuerbaren Energien. Beim Endenergieverbrauch für Wärme erhöhte er sich nach den neuesten Zahlen des Umweltministeriums von 9,1 Prozent im Jahr 2009 auf knapp 10 Prozent 2010. Ihr Anteil am Kraftstoffverbrauch erhöhte sich leicht auf 5,8 Prozent (2009: 5,5 Prozent).
Insgesamt deckten die erneuerbaren Energien damit 2010 bereits etwa 11 Prozent des gesamten deutschen Endenergieverbrauchs an Strom, Wärme und Kraftstoffen ab. Das liegt deutlich über dem Vorjahreswert (2009: 10,4 Prozent), wie das Umweltministerium am Mittwoch meldete. Die Zielvorgabe der Bundesregierung für 2010 sah einen Anteil der Erneuerbaren von 4,2 Prozent und sieht für 2020 einen Anteil von 10 Prozent am Primärenergieverbrauch vor.
Angesichts dieser Tendenzen stellt sich die Frage, ob und vor allem wann die Kraftwerksleistung in Deutschland auch ohne Kernkraftwerke für einen Ausstieg aus der Kernenergie ausreicht. Sie ist selbst bei regierungsnahen Institutionen hoch umstritten. Die Deutsche Energie-Agentur (dena) hat 2008 ungeachtet der seit Jahren beobachteten rückläufigen Tendenz des Primärenergieverbrauchs eine Stromlücke eventuell bereits ab 2012 für den Fall vorhergesagt, dass das Energieprogramm der Bundesregierung umgesetzt wird. Sie empfahl daher nicht nur die Laufzeitverlängerung der Atommeiler, sondern auch den Bau moderner Kohlekraftwerke.
Stromlüge statt Stromlücke
Der Sachverständigenrat der Bundesregierung für Umweltfragen
(SRU) hält genau das für überflüssig, ebenso wie den Bau moderner Kohlekraftwerke. "Das Entstehen einer Stromlücke ist nicht zu befürchten", urteilte er in einem im Januar vorgestellten Gutachten, in dem für 2050 eine Vollversorgung mit Strom aus erneuerbaren Energien für "möglich, sicher und bezahlbar" erachtet wird. Kernkraftwerke eigneten sich wegen ihrer geringen Flexibilität nicht einmal als Brückentechnologie, schrieb der SRU weiter.
Werde die Laufzeit verlängert, so komme es in den 20er-Jahren zum "Systemkonflikt zwischen hohen Anteilen volatiler erneuerbarer Energien und schlecht regelbarer Grundlastenergie". Das werde teuer, sagten die SRU-Forscher voraus. Aus den erwarteten hohen Überkapazitäten resultierten Stromüberschüsse oder eine verringerte Auslastung und damit geringere Deckungsbeiträge der konventionellen Kraftwerke. Diese werden bei zu geringer Auslastung unwirtschaftlich.
Beiden Organisationen gemeinsam ist die Forderung nach einem Ausbau des Grundnetzes. Damit könnten die Schwankungen im Angebot der verschiedenen Erneuerbaren nivelliert werden. Der Wind am Meer und die Sonne am Bodensee könnten so Energie für das ganze Land liefern.
Die deutsche Umwelthilfe (DUH) hatte bereits vor drei Jahren das dena-Gutachten heftig attackiert, unter anderem mit der Überschrift "Stromlüge statt Stromlücke". Sie wies darauf hin, dass ohnehin Umweltschützer keinen simultanen "Doppelausstieg aus Kohle und Kernenergie" gefordert hätten.
(Thomas Rietig / dapd)