Nutzung der Atomenergie schon früh von Protesten begleitet
Die Geschichte der Atomkraft in Deutschland ist auch eine Geschichte des Widerstands. Gut 20 Jahre liegen zwischen dem Moment, als es in den USA 1951 erstmals gelingt, Strom aus Atomenergie zu erzeugen und der Inbetriebnahme der ersten kommerziellen Kraftwerke in Deutschland. Kurz darauf formiert sich in Deutschland schon der Widerstand gegen die Atomkraft.
1951 gelingt es in einem amerikanischen Versuchsreaktor zum ersten Mal, Strom aus Atomenergie zu erzeugen. Auch in Deutschland erscheint vielen die friedliche Nutzung der Kernenergie zunächst reizvoll. Direkt nach Wiedererlangung der deutschen Souveränität 1955 wird das erste Atomministerium mit Franz-Josef Strauß an der Spitze gegründet. 1961 wird zum ersten Mal von einem Versuchsreaktor im bayerischen Kahl Atomstrom ins Netz eingespeist. 1972 gehen die ersten kommerziellen Atomkraftwerke in Stade und Würgassen ans Netz.
In den 70ern formiert sich der Protest
Im Zuge der Ölkrise erlebt die Branche einen Boom. In der Politik ist die Atomkraft in dieser Zeit weitgehend unumstritten. In einem ersten energiepolitischen Gesamtkonzept gibt die damalige sozialliberale Bundesregierung unter Willy Brandt die Richtung vor: den Ausbau der Atomenergie von damals 7.200 Megawatt auf 40.000 Megawatt im Jahr 1985. Die Kraftwerke Biblis, Neckarwestheim I, Brunsbüttel, Isar I und Unterweser werden gebaut.
Schon Anfang der 70er Jahre melden sich am südbadischen Kaiserstuhl die Gegner der Atomkraft zu Wort. Das dort zunächst geplante Atomkraftwerk Breisach wird ebensowenig gebaut wie das heiß umkämpfte Wyhl. Mit Baustellenbesetzungen, Demonstrationen und sogar vor Gericht machen die Atomkraftgegner auf ihr Anliegen aufmerksam. Streckenweise sind es Zehntausende, die auf die Straße gehen. Immer wieder kommt es dabei zu schweren Ausschreitungen.
Seit Ende der 70er, Anfang der 80er steht zudem ein weiterer Name für den Anti-Atomkraft-Protest: Gorleben. 1977 trifft die niedersächsische Landesregierung die Entscheidung, den Salzstock Gorleben als "vorläufigen Standort eines nationalen Entsorgungszentrums für ausgebrannte Kernbrennstoffe" zu benennen. 1979 beginnt die obertägige Erkundung. 1980 besetzt eine Gruppe von Atomkraftgegnern das Gelände und ruft die "Freie Republik Wendland" aus. Rund einen Monat später wird das Hüttendorf allerdings geräumt.
Parallel zu den Entwicklungen in Deutschland erschüttert eine Atomkatastrophe in den USA die Welt. Nach dem Zusammenbruch des Kühlsystems im Reaktor Nummer kommt es im Kernkraftwerk Three Mile Island bei Harrisburg im US-Staat Pennsylvania 1979 zu einer partiellen Kernschmelze und der Freisetzung radioaktiver Gase.
Sieben Jahre später ereignet sich in Block vier des sowjetischen Kernkraftwerks Tschernobyl der bisher schwerste Unfall in der Geschichte der friedlichen Kernenergienutzung. Ungeachtet massiver Proteste wird nur ein halbes Jahr später in Deutschland das AKW Brokdorf in Betrieb genommen.
Der Ausstieg vom Ausstieg
1989 geht mit Neckarwestheim II der vorerst letzte Reaktor in Deutschland ans Netz. 1995 rollt der erste Castor-Transport mit abgebrannten Brennelementen ins Zwischenlager Gorleben. Auch er wird von Protesten begleitet.
Nach ihrer Wahl 1998 schreibt sich die rot-grüne Bundesregierung die Abkehr von der Atompolitik auf die Fahnen. Im Jahr 2000 verständigt sie sich mit den Betreibern darauf, dass das letzten Kraftwerk um das Jahr 2021 abgeschaltet werden soll. 2002 wird der Atomausstieg gesetzlich verankert. 2003 und 2005 gehen die Reaktoren in Stade und Obrigheim planmäßig vom Netz. Bei weiteren Meilern verzögert sich die Abschaltung, weil sie wegen Pannen oder Revisionen längere Zeit stillstanden.
Mit dem Wahlsieg von Union und FDP 2009 wird ein Wechsel in der Atompolitik eingeleitet. Im Herbst 2010 verständigt sich die schwarz-gelbe Koalition darauf, deutsche Atomkraftwerke um durchschnittlich zwölf Jahre länger laufen zu lassen. Die Reaktoren, die vor 1980 ans Netz gingen, sollen acht Jahre zusätzlich bekommen - umgerechnet in Strommengen. Die neueren Kraftwerke sollen 14 Jahre länger laufen. Zehntausende gegen die Politik der Bundesregierung auf die Straße.