Super-GAU könnte Billiarden kosten
Im Atomkraftwerk Fukushima-Daiichi sind nach dem Super-GAU Maßnahmen wie in Tschernobyl nötig. Das erklärte der frühere Leiter der Abteilung für Nuklearsicherheit im Bundesumweltministerium, Wolfgang Renneberg, der Nachrichtenagentur dapd. "Das Containment, also die Schutzhülle, in der sich der Reaktordruckbehälter befindet, ist schon jetzt undicht, deswegen muss zunächst das Freiwerden weiterer radioaktiver Stoffe verhindert werden", sagte Renneberg. Dafür müsse zunächst wie in Tschernobyl mit Sand und Beton eine Deckschicht geschaffen werden.
"Man muss auch nach unten abdichten. Wenn es gelingt, die Kernschmelze zu begrenzen, dann kann bei der kontinuierlich sinkenden Leistung des Brennmaterials auch eine Abschirmung des Bodens erfolgen, wie das in Tschernobyl gemacht wurde." Es werde allerdings Jahre dauern, bis man die verstrahlten Meiler abbauen könne. "Nach dem GAU aus dem Jahr 1979 im US-amerikanischen AKW Three Mile Island bei Harrisburg konnte man nach der partiellen Kernschmelze erst nach fünf Jahren rein und dann allmählich mit den Sanierungsarbeiten beginnen." In Fukushima sei die Situation aber schlimmer. Renneberg folgert deshalb: "Man wird wie in Tschernobyl eine Sarkophag bauen müssen."
Sarkophag von Tschernobyl muss bereits ersetzt werden
Diese Forderung erhob auch der Kernkraft-Experte Christian Küppers vom Ökoinstitut Freiburg. Unabhängig vom Ausgang der Krise "muss die Anlage mit einer Art Sarkophag eingefasst werden", sagte Küppers der Nachrichtenagentur dapd. Angesichts der zerstörten Reaktorgebäude bestehe beispielsweise die Gefahr, dass Niederschläge radioaktive Partikel ins Freie spülen würden. Daher sei es unumgänglich, die Reaktoren mit einer festen Hülle zu umbauen.
Sperrzonen müssen jahrelang überwacht werden
"Die Bandbreite der Szenarien ist groß, es kann, aber es muss nicht zu Gebieten mit dauerhafter starker radioaktiver Belastung kommen, die dann lange gesperrt werden müssten", sagte der Sprecher der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit, Sven Dokter der dapd. In Tschernobyl müsse die Sperrzone bis heute von Brandwachen beobachtet werden, da jedes Feuer zur Freisetzung von radioaktiven Stoffen aus dem Boden und aus Pflanzen führe. Nach der Reaktorkatastrophe in der Ukraine wurde ein Gebiet von 4.300 Quadratkilometern gesperrt, 210.000 Menschen wurden umgesiedelt. Tausende Einsatzkräfte, sogenannte Liquidatoren, sind gestorben und es wird geschätzt, dass es in Folge der Katastrophe bis zu 60.000 zusätzliche Todesfälle durch Krebs gibt.
Der Nuklearexperte Renneberg betont: "In Fukushima hängt jetzt alles von den meteorologischen Bedingungen ab. Wie steht der Wind, gibt es Niederschlag, konzentrieren sich lang strahlende Stoffe auf Landflächen oder wird das Gros aufs Meer geweht?" Die Sperrzonen müssten auch nicht automatisch auf die direkte Umgebung des zerstörten Kernkraftwerks beschränkt sein. Aber auch diese Zonen müssten dann jahrelang von Feuerwachen beobachtete werden, um die erneute Freisetzung von strahlenden Spaltprodukten zu verhindern. Zudem müsse die Bevölkerung mit ausreichend Jod-Tabletten versorgt werden. Im schlimmsten Fall ließen sich die Folgen allerdings nicht absehen.
Kosten eines Super-GAUs sind gigantisch
Das Schweizer Prognos-Institut hat bereits 1992, sechs Jahre nach Tschernobyl, errechnet, was ein Super-GAU nach einer Kernschmelze kostet. Die Autoren verweisen deutlich auf die Schwierigkeiten der volkswirtschaftliche Bewertung der Super-GAU-Risiken bei der Abschätzung der Schäden. Ein besonderes Problem ergibt sich aus der Berechnung des Geldwertes von Menschenleben.
In ihrem Super-GAU-Szenario müssen über vier Millionen Menschen aus einem dicht besiedelten Gebiet schnell evakuiert werden, weitere Evakuierungen sind nötig. Zum Vergleich: allein in der Metropolenregion Tokio leben fast 40 Millionen Menschen. Sperrzonen müssen für mindestens fünf Jahre für jegliche Nutzung abgeriegelt werden, sämtlicher Wohnraum, alle Arbeits- und Firmeneinkommen aus dem Sperrgebiet gehen verloren.
Es kommt zu enormen Einbrüchen auf dem Agrarmarkt, wegen der Gefahr kontaminierter Feldfrüchte. Und es werden auch gesundheitliche Spätschäden aufgrund der dauerhaften niedrigen Strahlendosen berücksichtigt. Die Autoren kommen nach Kalkulation der Personen- und Sachschäden auf die gigantische Summe von 10,697 Billiarden Mark, also 5,467 Billiarden Euro. Das ist mehr als doppelt so viel, wie ganz Deutschland in einem Jahr als Bruttoinlandsprodukt erwirtschaftet.
(Steffen Mayer / dapd)