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Warum viele Ökostrom-Kunden nur wenig Ökostrom bekommen


Ein Stromkunde in Hamburg, der keinen Ökostrom-Tarif gewählt hat, bezieht dennoch mehr Strom aus Erneuerbaren Energien als ein Münchener Ökostrom-Kunde. Kurios, doch entscheidend sind regionale Geographie und Infrastrukturen.
 
Rund 25 % aller deutschen Privathaushalte haben sich in den letzten Jahren für einen Ökostrom-Tarif entschieden. Der im letzten Jahr in Deutschland produzierte Strom stammte zu fast 1/3 aus Erneuerbaren Energien. Dennoch kommt bei vielen Ökostrom-Kunden kaum Ökostrom an und somit verbrauchen diese Kunden größtenteils Strom aus konventionellen Energieträgern wie Kohle und Kernenergie. 
 
Im Zuge der Energiewende steigt die Produktion und der Verbrauch Erneuerbarer Energien an. Von der in 2015 produzierten Strommenge von insgesamt rund 650 Mrd. Kilowattstunden (kWh) entfielen auf die Erneuerbaren Energien 195 Mrd. kWh (30,1 %). Da in Deutschland erzeugte konventionelle Energie teilweise in das Ausland exportiert wird, erhöht sich der Anteil der Erneuerbaren Energien am Stromverbrauch auf über 32 %. Den größten Anteil an den Erneuerbaren Energien hat die Windkraft an Land (Onshore) mit einem 12,2 % Anteil an der gesamten Stromerzeugung. Die nachfolgende Grafik zeigt den sogenannten Strommix für Deutschland im letzten Jahr.

 
Bei der Frage, welcher Strommix nun beim einzelnen Kunden aus der Steckdose kommt, wird oftmals das Bild eines „Stromsees“ herangezogen. Die Quellen des Stromsees bilden die unterschiedlichen Energieträger. Dabei sprudelt die Quelle analog ihres Anteils am Strommix, d.h. die Erneuerbaren Energien speisen den See zu 30,1 %. Das „Wasser“ des Stromsees fließt dann zu den einzelnen Stromkunden. Kunden in Ökostrom-Tarifen ist in der Regel bewusst, dass sie keinen reinen Ökostrom erhalten. Jedoch gehen die meisten Kunden davon aus, dass ihr persönlicher Strommix dem bundesweiten Durchschnitt entspricht. Dass also zumindest 30,1 % des verbrauchten Stroms aus Erneuerbaren Energien stammt. Diese Annahme ist jedoch falsch.
 
In Deutschland – um im Bild zu bleiben – gibt es nicht nur einen, sondern sehr viele kleinere Stromseen. Und abhängig von der Region speisen sich diese kleineren Stromseen aus unterschiedlichen Quellen. Jeder einzelne Stromsee hat seinen eigenen Strommix. 
 
Die Zusammensetzung des Strommix ist abhängig von der regionalen Geographie und Infrastruktur. Energie wird – soweit möglich – in der Region verbraucht, in der sie erzeugt wurde. Längere Stromtransporte sind nur sinnvoll um Stromengpässe auszugleichen. Zudem ist aus der Diskussion um sogenannte Megatrassen für Windenergie von Nord- nach Süddeutschland bekannt, dass die derzeitige Leistungskapazität nicht ausreichen würde, um Strom eines bestimmten Energieträgers quer durch Deutschland zu transportieren.
 
Die Bedeutung der regionalen Infrastruktur verdeutlicht sich am Beispiel dreier Großstädte und ihres jeweiligen Stromsees. In Hamburg, umgeben vom flachen Land und nahe der Offshore-Windkraftanlagen in der Nordsee, hat die Windenergie einen Anteil, der deutlich über dem Bundesdurchschnitt liegt. Der Anteil Erneuerbarer Energien im Hamburger Strommix liegt bei knapp 40%. Daneben bezieht Hamburg seinen Strom zu einem Viertel aus Steinkohle, u.a. erzeugt durch ein großes Steinkohlekraftwerk im Hamburger Hafen. 
 
 
Der Kölner Strommix setzt sich zur Hälfte aus Braunkohle-Strom zusammen. Das riesige Braunkohleabbaugebiet und entsprechende Kraftwerke in der Nachbarschaft sind dafür Lieferanten. Erneuerbare Energien machen im Kölner Strommix lediglich knapp 10% aus. Hamburg und Köln sind passende Beispiele für den Verbrauch regional erzeugten Stroms, wenn auch aus unterschiedlichen Energieträgern.
 
München wiederum, das weit entfernt von Braunkohlerevieren und Windkraft-günstigen Landschaften liegt, muss seinen Strom zum größten Teil aus Erdgas erzeugen. Über ¾ des Münchener Stromsees wird aus Gaskraftwerken gespeist. München ist damit stark auf Stromimporte angewiesen, da das benötigte Gas zum überwiegenden Teil aus Russland kommt. Der Anteil Erneuerbarer Energien in München liegt deutlich unter dem Bundesdurchschnitt bei etwa 15 %. 


Der tatsächliche Ökostrom-Verbrauch hängt nicht vom Tarif ab

In einigen Regionen Deutschlands liegt also der Anteil Erneuerbarer Energien deutlich unter, in anderen Regionen deutlich über dem Bundesdurchschnitt. Dies führt zu kuriosen Situationen. So bezieht ein Kunde in einem Nicht-Ökostrom-Tarif in Hamburg mehr Ökostrom als ein Ökostrom-Kunde in Köln. 

Diese Tatsache zeigt wiederum, dass die individuelle Wahl – Ökostrom oder konventionelle Energie – keinen Einfluss auf den regionalen Strommix hat. Überhaupt ist die produzierte Ökostrommenge unabhängig von der Anzahl der Ökostrom-Kunden. Die Menge des Stroms aus Erneuerbaren Energien ist Angebots- und nicht Nachfrage-gesteuert. Sie ist abhängig von den gesetzlichen Rahmenbedingungen und Förderinstrumenten, die von der Politik entschieden werden. Davon ist auch abhängig, ob Energieerzeuger in Erneuerbare Energien investieren. Dies gilt für Firmen wie Privatleute, die sich bspw. eine Photovoltaikanlage installieren: ohne staatliche Anreize hätten sich die meisten Investitionen nicht gelohnt.
 
Die Investitionsstrategie der Stadtwerke München veranschaulicht beispielhaft diese Situation. Das Ziel lautet, im Jahr 2025 so viel Ökostrom zu erzeugen wie in München verbraucht wird. Dazu investieren die Stadtwerke in Offshore- und Onshore-Windparks in Norddeutschland und Skandinavien. Aufgrund fehlender Leistungskapazitäten wird dieser Strom jedoch den Strommix in München in naher Zukunft nicht verändern. In Hamburg könnte der Ökostromanteil jedoch aufgrund dieser „Münchener Projekte“ weiter steigen.
 

Ökostrom-Anbieter mit Investitionszusage bevorzugen

Dem einzelnen Kunden bleibt also kaum eine Einflussmöglichkeit auf den Strommix der Zukunft. Einfach einen beliebigen Ökostromtarif zu wählen, mag das eigene Gewissen beruhigen, treibt aber nicht unmittelbar die Energiewende. Es gibt jedoch Ökostromanbieter, die sich mit jedem Stromvertrag verpflichten, einen bestimmten Betrag direkt in Ökostrom-Projekte zu investieren. Wenn diese Investitionen dann in Projekte der jeweiligen Region fließen, kann ein Beitrag zu einem höheren Ökostrom-Anteil im „eigenen“ Strommix geleistet werden. Eine kleine Übersicht von Ökostrom-Anbieter mit Hinweis auf eine Investitionsverpflichtung finden Sie hier.

Fazit: Kunden, die sich für einen Ökostrom-Tarif entscheiden, beeinflussen mit ihrer Entscheidung nicht die erzeugte Menge an Ökostrom. Der regionale Strommix wird ebenfalls nicht durch die Anzahl der Ökostrom-Kunden und deren Abnahmemenge beeinflusst. Das erzeugte Volumen an Ökostrom hängt von politischen Entscheidungen ab und wie diese dann von Investoren umgesetzt werden.

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